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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
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Ihr neues Navigationssystem hatte funktioniert und sie ohne Umwege hergeführt. Als sie sich dem Schauplatz näherte, brach ein Gewitter greller Kamerablitze über sie herein, das sie für einen Moment blendete und zu einer scharfen Bremsung zwang. Kaum hatten sich ihre Augen erholt, klopften auch schon die Reporter gegen ihre geschlossenen Seitenscheiben und beackerten sie mit Fragen: »Dr. Ryan, Dr. Ryan, haben Sie einen Kommentar?«, »Wann sind Sie angerufen worden?«, »Was erwarten Sie zu finden?«, »Können wir später mit einem Statement rechnen?«
    Sam ignorierte sie und fuhr weiter. Warum sie das taten, war ihr ein Rätsel. Sie mussten doch wissen, dass sie jetzt nichts sagen konnte, was den späteren Maßnahmen vorgreifen würde. Vielleicht dachten sie nur, das sei eben ihr Job, und wollten sich nicht beim Nichtstun erwischen lassen. Irgendwann würde es noch wegen dieser Idioten einen schweren Unfall geben. Sie hoffte nur, dann nicht in der Nähe zu sein.
    Sam stellte sich bei dem Beamten an der Absperrung vor, einem milchgesichtigen Jüngling von etwa zwanzig Jahren, und fuhr dann die Einfahrt hinauf bis vor das Haus, während der Beamte sorgfältig ihre Ankunftszeit, ihren Wagentyp und ihr Kennzeichen notierte, um dann sein Clipboard zurück in seinen Panda zu werfen und auf den nächsten VIP-Ermittler zu warten. Als Sam das Ende der Einfahrt erreichte, sah sie Colin Flannery, der sie in ihren Parkplatz einwies. Sie lächelte und winkte ihm zu. Colins Anblick munterte sie stets auf. Wenn er da war, wusste sie, dass die Arbeit der Spurensicherung ordentlich gemacht wurde. Manche Leute fanden ihn pedantisch, Sam dagegen hielt ihn für professionell und wünschte, es gäbe mehr Leute wie ihn. Das Haus selbst war ein großes, eindrucksvolles Herrenhaus im nachgeahmten Tudorstil. Auch das Grundstück, soweit sie es durch den Wald der Polizeiblaulichter hindurch sehen konnte, war beeindruckend. Riesige Grünflächen mit Hunderten von Bäumen, Büschen und Blumen. Wie viele Leute Clarke wohl beschäftigte, um den Garten in Schuss zu halten? Unter günstigeren Umständen hätte sie sich gerne umgeschaut und vielleicht den einen oder anderen Ableger stibitzt. Als sie aus dem Wagen stieg, kam Flannery auf sie zu und hielt ihr einen weißen Schutzoverall entgegen.
    »Haben Sie den Zirkus da draußen gesehen? Man fragt sich, woher die immer fast noch schneller als wir Bescheid wissen.«
    Sam lächelte ihn an und stieg in ihren Overall. »Ich glaube, wir haben da beide so eine Ahnung, oder, Colin?«
    Flannery zuckte die Schultern und nickte. »Das ist es ja. Lächerlich.«
    Sam schaute hinab auf ihre Füße. »Haben Sie Überschuhe für mich?«
    Flannery reichte ihr ein Paar und sie streifte es über.
    »Ist Superintendent Adams schon hier?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht, es gab Probleme, ihn zu erreichen. Wahrscheinlich wegen seiner frischgebackenen Ehefrau, die –« Flannery unterbrach sich. Am liebsten hätte er sich eine Ohrfeige verpasst. »Tut mir Leid, gedankenlos von mir. Er wird sicher gleich hier sein.«
    Sam wusste, das Flannery es nicht böse gemeint hatte. Sie ging auf die Haustür zu.
    »Eine junge Frau oben auf ihrem Bett, vermutlich Sophie Clarke, die Frau des hiesigen Unterhausabgeordneten. Sieht aus, als wäre sie stranguliert worden –« Er unterbrach sich erneut. Vielleicht war er zu weit gegangen. Das wurde allmählich eine lästige Gewohnheit. »Aber das festzustellen ist natürlich Ihre Sache, Dr. Ryan. Es war nur eine allgemeine Bemerkung.«
    Sam musste über seine Verlegenheit lächeln. Colin war immer so peinlich darauf bedacht, sich richtig zu verhalten. »Sicher haben Sie Recht, Colin. Aber schauen wir uns die Sache erst einmal an. Was ist mit ihrem Mann?«
    »Er wird gerade benachrichtigt. Offenbar musste er zu einem Empfang ins Unterhaus nach London. Sie können sich vorstellen, wie seine Alibiliste aussehen wird.«
    »Und Sophie ist nicht mitgekommen?«
    »Offenbar waren nur die Abgeordneten geladen.«
    Sam fragte sich, ob die Polizei eine Liste der Namen und Adressen seiner Geliebten hatte. Vermutlich würde sie sie brauchen. »Wer hat sie gefunden?«
    »Die Haushälterin, eine Mrs. Waddam. Kommt aus Histon und ist offenbar schon seit Jahren bei der Familie. War wohl schon Clarkes Aufwärterin in College-Zeiten.«
    »Ist das nicht ein bisschen weit von Histon hierher?«
    »Ihr Mann bringt sie jeden Morgen her und holt sie abends wieder ab. Sie fand die Leiche
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