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Würstelmassaker

Würstelmassaker

Titel: Würstelmassaker
Autoren: Pierre Emme
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    Karl Heinz Peddersen war Kapitän im wohl verdienten Ruhestand. Als 15-jähriger war er von zu Hause ausgebüchst und hatte in der Folge mehr als 35 Jahre alle Meere der Welt befahren. Im aus amouröser Sicht schon etwas reiferen Alter von 51 hatte er bei einem Heimaturlaub Erna kennen, schätzen und lieben gelernt. Als Mann, der gewohnt war, rasche Entscheidungen zu treffen, hatte er der stattlichen Hamburgerin bereits am zweiten Abend einen höchst sittsamen Antrag gemacht. Den Erna ohne Zögern angenommen und beide mit einer spontan vorgezogenen Hochzeitsnacht besiegelt hatten.
    Erna hatte, wie Karl Heinz auch, natürlich schon reichlich Erfahrungen gesammelt und dabei gelernt, dass es durchaus von Vorteil sein konnte, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. In Wien kannte man diese Lebensweisheit als »Wos i hob, des hob i .«
    Da Karl Heinz nicht länger als einen Arbeitstag von seiner Liebe getrennt sein wollte, nahm er Abschied von der Handelsschifffahrt und übernahm eine verantwortungsvolle Position im Tourismus. Er wurde Käpten auf einem dieser Rundfahrschiffe, die Gäste aus aller Welt durch den Hamburger Hafen schippern.
    Erna hatte Wurzeln in Wien, die Stadt aber noch nie besucht. Sie kannte den Prater, die Hofburg, Schönbrunn und den Heurigen nur aus den von Heimweh geprägten Erzählungen ihrer Mutter, die sich in Norddeutschland nie richtig heimisch gefühlt hatte.
    Kein Wunder, dass die erste längere Reise nach dem endgültigen Abschied Karl Heinz’ von der See die Peddersens in die alte Kaiserstadt an der Donau führte.
    Am ersten Abend in Wien wollte Erna das Opernfilm-Festival am Rathausplatz ansehen. Wäre Strauß, Puccini oder auch Verdi am Programm gestanden, Frau Peddersen hätte sich mit ihrem Wunsch möglicherweise durchsetzen können. Aber mit dem »Fliegenden Holländer« hatte der alte Seebär absolut nichts am Hut. Obwohl es dabei ja eigentlich um einen Kollegen ging.
    So hatte sich der Käpten mit seinem Wunsch durchgesetzt und das Paar war bei einem Heurigen in Neustift gelandet.
    Nach drei Vierteln waren dem geeichten Pils- und Korntrinker die Tränen in die Augen getreten und er hatte versucht, seiner Erna mit Begleitung der Schrammelmusik ein Ständchen zu bringen.
    Seine norddeutsche Version von »Mei Muatterl woar a Weanerin« ging seiner Liebsten dann doch nicht so zu Herzen, wie er gehofft hatte. Schuld daran waren die umsitzenden Gäste, die die »platt-wienerische« Darbietung mit schallendem Gelächter quittierten. Als sich ein Metzger aus Bielefeld dabei so verkutzte, dass ihm das Abendessen aus dem Gesicht bröselte, wurde Erna die ganze Sache zu peinlich.
    Sie stellte ihren Mann vor die Alternative und Karl Heinz entschied sich spontan für »Oder .« Worauf sie sich ein Taxi nahm und ins Hotel »Haus Döbling« bringen ließ.
    Kaum war dieser Störfaktor weg, feuerten die übrigen Gäste den urigen alten Seebär an, weitere Kostproben seiner gesanglichen Qualitäten zu liefern. Der ließ sich nicht lange bitten und gab »La Paloma« und »Wir lagen vor Madagaskar« von sich. Für einige besonders zotige Shantys, die folgten, revanchierten sich eine Gruppe Italiener mit »La montanara .«
    Der Abend artete schließlich in eine gewaltige friulanisch-hamburgisch-wienerische Verbrüderung aus, die lange über die Sperrstunde hinaus dauerte.
    Gegen halb drei fühlte sich Peddersen so gut, dass er beschloss, das Geld für ein Taxi zu sparen und den Weg zum »Haus Döbling« zu Fuß anzutreten. Die laue, mondhelle Augustnacht erinnerte ihn irgendwie an die vielen durchwachten Nächte auf der Brücke seines Schiffes und das gefiel ihm.
    Nachdem er am Döblinger Friedhof vorbei gekommen war, forderte die Natur zweifach Tribut. Erstens drohte ihm die Blase zu bersten und zweitens fühlte er sich plötzlich hundemüde. Der auf der linken Straßenseite liegende Park kam da wie gerufen.
    Peddersen betrat das Gelände der schönen, wie er später erfahren sollte, nach Hugo Wolf benannten Anlage und erleichterte sich hinter dem ersten Baum. Dann sah er sich nach einer Bank um und fand auch rasch eine.
    Als er Platz nehmen wollte, nahm er einen Mann wahr, der sich offenbar bei einem etwa zehn Meter entfernten Gebüsch zu schaffen gemacht hatte und jetzt davon lief.
    Dem alten Käpten war das egal. Komische Typen war er von Hamburg her gewöhnt. Eigenartig fand er nur, dass jemand bei dieser milden Temperatur einen langen Staubmantel trug. Dann war Peddersen auch schon
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