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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
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PROLOG
    Sie musste sterben und er würde sie töten müssen. Diese Tatsache lag vor allen anderen klar auf der Hand. Er hatte es seit Wochen gewusst. Im Grunde hatte er nur ein paar Tage ernsthaften Überlegens gebraucht, um zu diesem Schluss zu kommen. Überraschend, wie schnell und leicht er zu seiner Entscheidung gelangt war. Natürlich hatte er sich das Problem durch den Kopf gehen lassen und verschiedene Mittel und Lösungen in Betracht gezogen, doch er wusste, dass er nur mit Möglichkeiten und Theorien herumspielte. Am Ende lief alles immer wieder auf dieselbe, nahe liegende Antwort hinaus: Mord. Die Frage war nur noch, wo, wie und wann.
    Er hatte daran gedacht, einen Killer anzuheuern, aber nach gründlicher Recherche hatte er erkannt, dass das unmöglich war. Erstens hatte er keine Ahnung, wo er einen finden sollte, und zweitens würde er damit eine andere Person mit in die Gleichung bringen; der Mord selbst war schon kompliziert genug. Er würde es selbst erledigen müssen. Nachdem alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen waren, machte er sich daran, das perfekte Verbrechen zu planen. Das allein war schon ein intellektueller Hindernislauf. Im Planen war er gut, darin hatte er jahrelange Übung. Jetzt würde sich herausstellen, wie gut dieses Training ihn auf Unerwartetes vorbereitet hatte. Er verspürte sogar eine bizarre Vorfreude darauf. Wenigstens kam er so mit seinen Gedanken einmal aus dem lauen Alltagstrott heraus. Trotz der makabren Natur der Tat, die er sich vorgenommen hatte, wurde ihm schnell klar, dass die Prinzipien und praktischen Schritte dieselben waren wie bei jedem anderen beruflichen Unternehmen auch. Wenn sein Plan erst einmal stand und er dabei blieb, würde alles klappen. Nach seiner Erfahrung gab es Probleme immer nur dann, wenn man sich nicht strikt an einen Plan hielt. Wenn er sich nicht erwischen lassen wollte, und diese Möglichkeit kam für ihn nicht in Betracht, dann musste alles mit militärischer Präzision durchgezogen werden. Er zog ein Heft aus seiner Schreibtischschublade und begann sich Notizen zu machen.
     
    Nach all diesen Monaten wusste Claire, dass es eigentlich keine Rolle spielte, wo sie sich trafen, aber diesmal war der Ort ziemlich ungewöhnlich und etwas abgeschiedener, als sie es sich vorgestellt hatte. Ein schmaler Feldweg mit tiefen Spurrillen führte ungefähr einen Kilometer von der Straße nach Cambridge weg und verschwand dann in einem großen Laubwald, bevor er mehrere Zuckerrübenfelder durchquerte und nach etwa zweihundert Metern auf einen hohen, dicht bewachsenen Bahndamm stieß. Dann führte er etwa vier- bis fünfhundert Meter neben dem Damm entlang und endete schließlich vor einer niedrigen Bahnunterführung aus viktorianischer Zeit, an der zwei Wege zusammenliefen.
    Sie war per Anhalter nach Cambridge gefahren und dann die fünf Kilometer querfeldein bis zu dem Treffpunkt gelaufen. Die Reise hatte sie nur einen halben Tag gekostet und es hatte keinerlei Probleme gegeben. Der Lastwagenfahrer, der sie den größten Teil der Strecke mitgenommen hatte, war nett und freundlich gewesen und hatte seine Hände bei sich behalten – eine angenehme Abwechslung. Claire fuhr oft per Anhalter und meistens waren die Leute gesprächig und freundlich. Solange man auf der Hut blieb, lief normalerweise alles bestens. Gelegentlich kam sie auch in heikle Situationen, und einmal, vor ein paar Jahren, war sie sogar vergewaltigt worden, aber nur, weil sie unvorsichtig gewesen war. Danach hatte sie für eine Weile keine Lust mehr gehabt, per Anhalter zu fahren, aber da sie mit wenig Geld auskommen musste, hatte sie wieder damit angefangen, nur dass sie jetzt besser aufpasste. Das Verrückte war, dass der Typ, der sie vergewaltigt hatte, eigentlich total anständig ausgesehen hatte. Na ja, dachte sie, man wusste eben nie. Hinterher hatte sie sich oft gefragt, ob er einfach so durch die Gegend gefahren war, um vielleicht ein Mädchen zu finden, über das er herfallen konnte, oder ob er nur ein ganz gewöhnlicher Mann war, der diese spezielle Situation ausgenutzt hatte. Am Ende erschien ihr das Letztere wahrscheinlicher, aber es war eine erschreckende Erkenntnis und eine Warnung für sie.
    Als Claire die altersschwache Brücke näher betrachtete, fragte sie sich, wie dieses Ding das Gewicht und das Tempo der Züge verkraften konnte, die darüber hinwegratterten.
    Hier passiert früher oder später eine Katastrophe, dachte sie.
    Sie hob einen Zweig auf und kratzte den
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