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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss
Autoren: Gary Paulsen
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so bedeutete dies, dass die Land karte nicht genau war. Sie zeigte deutlich ein Flussbett mit engen Ufern, dort, wo der See hätte sein müssen. Und wenn die Karte in diesem Punkt ungenau war, dann konnte sie auch in allen anderen Punkten unge nau sein.
    Zum Beispiel, was die Entfernung zum Handelsposten betraf.
    Seit der Zeit, als die Landkarte gezeichnet worden war, konnte der Fluss die Richtung geändert haben; und viel leicht gab es nicht einmal mehr den Handelsposten.
    Es war ein niederschmetternder Gedanke. Brian be reute, dass er das Lager am See verlassen und sich der Landkarte anvertraut hatte. Es gab so viele Möglichkei ten, sich zu verirren.
    Wieder studierte er die Karte und schöpfte ein wenig Mut. Sie war doch so klar, so eindeutig. Unvorstellbar, dass sie nicht genau sein sollte. Manche Landmarken mochten sich verändert haben, aber im Großen und Ganzen musste die Karte doch richtig sein!
    Vielleicht führte der Fluss etwas Hochwasser und war über die Ufer getreten. Und das bedeutete, dass der See, den er in der Nacht überquert hatte, eigentlich nur ein großes Talbecken war, das sich mit Wasser gefüllt hatte.
    Klar, das klang logisch. Brian wollte nur noch einmal die Landkarte prüfen und sich vergewissern, dass ihre Angaben in den wesentlichen Punkten richtig waren.
    Mit dem Finger folgte er dem Flusslauf. Er zeichnete den Weg der blauen Linie nach, die sich durch grün schraffierte Flächen schlängelte, und fand schließlich die Stelle. Hier! Die Karte war richtig – und falls er nicht irrte, musste er an der Stelle sein, auf die sein Finger zeigte. Dort bildete der Fluss eine lange, gerade Linie und die Höhenlinien waren weit voneinander getrennt, was auf eine weite, flache Ebene hindeutete, wo sich durch Überflutung zeitweilig ein See bilden konnte.
    Nicht weit davon entfernt rückten die Höhenlinien enger zusammen. Dort mussten zwei Hügel sein, zwi schen denen der Fluss sich – kurz nach einer scharfen S-Kurve – seinen Weg bahnte.
    Das Floß glitt jetzt rasch dahin und die Morgensonne vertrieb alle Schmerzen und Müdigkeit der Nacht. Brian schob die Landkarte in die Mappe zurück und beugte sich prüfend über Derek. Sein Gesicht war von Mückenstichen geschwollen, seine Augen waren verquollen und beinah geschlossen und Brian tauchte sein Hemd ins Wasser, um Derek ein wenig Kühlung zu spenden. Er schwenkte das Hemd gründlich im Fluss und träufelte Derek das frische Nass über Stirn und Lippen.
    Er wusste nicht, ob er sich täuschte – oder ob es wirk lich so war: Derek war dünner geworden über Nacht. Er kam ihm viel schlanker und zierlicher vor. War dies ein Zeichen beginnenden Mangels an Flüssigkeit im Körper gewebe?
    Noch einmal tauchte er sein Hemd ins Wasser und legte es über Dereks Kopf. Kühlung und Feuchtigkeit konnten helfen, hoffte er.
    Wie wär’s, überlegte Brian, wenn das Floß eine Mar kise hätte – so etwas wie ein Sonnendach? Er paddelte ans Ufer und verankerte das Floß zwischen Schilf und Weidenstauden. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er aus Ästen und Gras ein primitives Dach für Derek gebaut hatte. Es bedeckte nicht seinen ganzen Körper, aber sein Kopf und sein Brustkorb lagen im Schatten und zufrie den nahm Brian das Paddel wieder auf und steuerte hin aus in die Strömung.
    Falls die Karte Recht hat, dachte Brian, müssten bald die beiden Hügel neben dem Fluss in Sicht kommen. Der Vormittag war schon fortgeschritten und jetzt meldete sich der Hunger. Cornflakes und Milch, Toast mit Schin ken und Ei – ein komplettes Frühstück tanzte verfüh rerisch vor seinen Augen und ein verführerischer Duft schien über dem Floß zu hängen.
    Der Hunger war lästig – aber er war ein alter Feind, beinah ein alter Bekannter. Brian zwang sich energisch, nicht mehr an ein verlockendes Frühstück zu denken. Stattdessen würde er jetzt überlegen, wie die nächsten Schritte des Tages aussehen sollten.
    Am wichtigsten war, dass die Fahrt weiterging. Dann musste er mit der Karte immer wieder den Standort be stimmen, die Geschwindigkeit abschätzen und unbeirrt weiterpaddeln. Alles zu seiner Zeit.
    Ja, die Zeit.
    Es war so seltsam, die Sache mit der Zeit. Mal war sie das Nebensächlichste von der Welt – und mal bedeutete sie alles. Es war genau wie mit dem Essen. Wenn sie knapp wurden – das Essen oder die Zeit – , hatte man nur den Wunsch, mehr davon zu haben. Und wenn sie reich lich vorhanden waren, kümmerte man sich nicht darum.
    Brian reckte sich und
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