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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss
Autoren: Gary Paulsen
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wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Als er auf wachte und den Kopf hob, schaukelte das Floß auf einer scheinbar endlosen Wasserfläche.
    Vom Fluss und seinen Ufern war nichts mehr zu se hen.
    Das fahle Mondlicht war zu schwach, um irgend etwas zu erkennen, und Brian wusste nicht, in welche Richtung er sich fortbewegte – falls er sich überhaupt fortbewegte.
    »Aber …«, rief er laut. Der Klang seiner Stimme mochte ein Tier aufgeschreckt haben, das rechts von ihm durchs seichte Wasser planschte. Ein großes Tier, dachte Brian. Vielleicht ein Elch? Aber wenn hier ein Elch durchs Wasser stapfte, so bedeutete dies, dass das Ufer nicht fern sein konnte – die rettende Böschung, wo Tiere Schutz suchten.
    Aufgepasst! befahl er sich. Jetzt musste er seinen Kopf gebrauchen und logisch denken:
    Der Fluss strömte – von den vielen Windungen abge sehen – meist in südöstlicher Richtung. Und hier hatte sein Bett sich zu einem der Seen erweitert.
    Aber da war der Mond.
    Zuletzt, bevor Brian einschlief, hatte der Mond senk recht über ihm gestanden. Jetzt stand er ziemlich weit rechts, auf halber Höhe zwischen Zenit und Horizont. Er war in dieselbe Richtung gewandert, in die das aufge schreckte Tier sich geflüchtet hatte.
    Also?
    Was folgte daraus?
    Brian spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um klar denken zu können.
    Der Fluss hatte sich hier zu einem See erweitert. Aber das Floß schwamm nicht weit entfernt vom westlichen Ufer, denn der Mond wanderte stets nach Westen. Wenn Brian also geduldig weiterpaddelte, musste er irgend wann die Stelle erreichen, wo der Fluss wieder schmäler und die Strömung stärker wurde.
    Entschlossen packte er das Paddel und stieß es ins Wasser, aber das Floß schien sich nicht von der Stelle zu bewegen – jetzt, da es keine Strömung mehr gab. Das Paddel steil ansetzend, drückte Brian das Floß zur Seite, bis er im fahlen Mondlicht die flache Linie des Ufers sah. Hoch aufgerichtet und in den Hüften pendelnd, fing er jetzt wieder an zu paddeln, gleichmäßig zwei Schläge rechts, zwei Schläge links …
    Mit der Strömung im Fluss war das Floß ganz gut vorangekommen, weil es tief im Wasser lag und die Wel len es vorwärts schoben. Aus demselben Grund war es beinah unmöglich, es im stehenden Wasser mit dem Paddel voranzutreiben.
    »Es ist, als wollte man einen Reisighaufen durchs Was ser paddeln«, stöhnte Brian. Er schaffte kaum eine Meile pro Stunde, und er wünschte, er könnte die Landkarte studieren. An einen See konnte er sich an dieser Stelle nicht erinnern. Und wie lange würde es noch dauern, bis die Ufer wieder zusammentreten und die Wellen ihn treiben würden?
    Zwei Paddelschläge links, zwei Paddelschläge rechts.
    Das ständige Hin und Her mit dem Paddel, der gleich mäßige Rhythmus der Bewegung machte ihn erneut schläfrig. Wie ein Nebel legte sich der Schlaf auf sein Hirn und versuchte, ihn hinüberzuziehen ins Reich der Träume.
    Brian setzte sich auf – aber er träumte mit offenen Augen. Die Halluzinationen waren so intensiv, dass er sie mit der Wirklichkeit verwechselte.
    Plötzlich war dieses Balkenfloß ein schlankes Kanu und es flog mit jedem Paddelschlag leicht dahin, eine Bugwelle aus Flammen nach sich ziehend, die sich v-för mig über das Wasser verbreitete.
    »Aber halt!«, rief Brian erschrocken. War es möglich, dass Baumstämme im Wasser Feuer fingen? Und über haupt, wieso konnte Wasser brennen?
    Brian fuhr sich mit der Hand über die Augen – und sah wieder seine Mutter am Ende des Floßes sitzen. Ihr Bild löste sich auf in einem Nebel, aus dem das Gesicht seines Vaters auftauchte, der ihn anfeuerte – wie bei einem Sportwettkampf: Schneller und immer schneller musste er rudern.
    Plötzlich hörte er Dereks Atemzüge, so laut und deut lich, dass sein Kopf und die ganze Welt von rasselndem Keuchen erfüllt schienen. Und jetzt hörte er Dereks Herz gegen die Balken des Floßes hämmern – ein Pochen, das immer lauter wurde, bis Brian nur noch röchelnde Atemzüge und dumpfen Herzschlag hörte …
    Mit beiden Händen spritzte Brian sich Wasser ins Ge sicht und plötzlich sah er das Floß wieder deutlich vor sich, wie es träge im schwachen Mondlicht durch das Wasser glitt. Derek lag friedlich auf der Seite und Brian packte das Paddel mit neuer Kraft – zwei Schläge links, zwei Schläge rechts … schäumende Wirbel in schwarzem Wasser … zwei links, zwei rechts … und wieder ein Wechsel.
    Plötzlich schwamm irgendetwas neben dem
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