Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
wirklich aufgewühlt. Das machte sie jeden Sommer, aber heuer sollte er radikal neu gemacht werden, man hatte ein häßliches schwarzes Fahrkartengebäude errichtet. Untaugliche Lokalpolitiker und unbegabte Architekten, Hamburgerläden und unansehnliche Geschäftsfassaden, stinkende Autos und Papiermüll – nichts davon sollte ihr die Freude an ihrer Stadt vergällen. Jedenfalls nicht heute, wo die Sonne von einem wolkenlosen Himmel schien. Du dänischer Sommer, ich liebe dich! Dieses Jahr hast du mich wirklich nicht im Stich gelassen!
    »Tagesen will dich auf der Stelle sehen«, sagte der Pförtner, als sie ihre Post holte.
    Sie betrat das berühmte Eckzimmer. Chefredakteur Tagesen drehte sich zu ihr um. Sein Büro war noch unaufgeräumter als ihres. Überall flogen Bücher, Briefe, Papiere und Zeitungsausschnitte herum. Er hatte auf das Chaos und den Staub auf dem Rathausplatz geblickt. Der Lärm ratternder Maschinen und genervter Autos drang durch die Fenster. Tagesen war noch nicht lange im Eckzimmer. Sie mochte ihn gern. Kein Wunder, er hatte sie und einige andere Mitarbeiter aus seinem alten Blatt mitgebracht. Bei den alten Politiken- Kämpenhatte das insgeheim einigen Unmut ausgelöst. Aber das war Tagesen und Lise egal. Die Leute bei Politiken unterschieden sich nicht von denen anderer Medien: Journalisten waren durch die Bank die konservativsten Mitarbeiter, die es in Dänemark gab. Sie haßten Veränderungen und neue Chefs wie die Pest.
    »Tag, Lise«, sagte Tagesen. »Ich wüßte gern, ob dieses Tohuwabohu jemals wieder zu einem vernünftigen Platz wird.« Er war ein kräftiger Mann Mitte Vierzig mit einem buschigen Schnurrbart, an dem er herumzupfte, wenn er in Rage war. Und das war er fast immer. Manche nannten ihn einen Krakeeler. Lise hielt ihn bloß für einen Menschen, der mit Feuereifer bei der Sache war. In seiner Jugend war er einmal ziemlich rechts angesiedelt gewesen, ein Produkt der guten amerikanischen Universitäten, jetzt befand er sich irgendwo in der dänischen Leberpastetenmitte, wo sich die Leute von rechts und links mit der Zeit immer einfanden, wenn sie älter wurden und die Karriere wichtiger als die Ideologie war. So konnte man es jedenfalls sehen. Lise sagte lieber – außer vielleicht, es handelte sich um Ole –, daß wir mit zunehmendem Alter alle klüger werden.
    »Na, Lise? Können wir in der Zeitung nicht irgendwas machen? Schreib doch mal eine von deinen spitzen Kolumnen. Spieß den Architekten auf. An den Galgen mit dem Rathaus. Wär das nichts, Lise?« Tagesen sprach hastig, abgehackt. Er brauchte nur wenige Stunden Schlaf und war ein Morgenmensch, er war vor allen anderen am Arbeitsplatz und dann mit tausend Ideen.
    »Guten Morgen, Tagesen. Schon agil, bevor wir anderen auch nur gefrühstückt haben«, sagte sie.
    Tagesen zog an seinem Schnurrbart und lachte. Er sah jung aus, wenn das schiefe Grinsen über sein Gesicht ging. Lise fand ihn sehr ansprechend und war froh, ihn als Verbündeten zu haben. Bündnisse sind wichtig in einem Zeitungshaus. Mit Tagesen war sie das richtige eingegangen. Sie hatte sich an ihm orientiert, als er Redaktionschef bei der Konkurrenz gewesen war, und war ihm ohne Zögern zur Politiken gefolgt. Natürlich war ihre Karriere dadurch auch in gewisser Weise an seine gebunden.
    »Nun setz dich doch, Lise«, sagte er.
    Lise entfernte einen Haufen Zeitungen von einem Stuhl und setzte sich. Tagesen setzte sich hinter seinen Schreibtisch und hantierte mit einem Kugelschreiber. Er hatte auch aufgehört zu rauchen. Dafür fummelte er an allem herum, an Brieföffnern, Bleistiften, Kugelschreibern, und knickte Eselsohren in Papierbogen.
    »Hör zu! Ich hab hier die Geschichte deines Lebens für dich. Sara Santanda will aus der barbarischen Dunkelheit heraus. Hinaus an die Öffentlichkeit. Ans Licht!«
    Lise spürte Freude aufkommen, das schwindelnde Gefühl von etwas Großem. Sie wußte, was kommen würde.
    »Ja, Lise. Sie kommt nach Dänemark. Eingeladen von uns. Präsentiert von uns. An der Hand geführt von uns. Beschrieben und bewundert von uns!«
    »Aber ich habe gerade erst heute morgen … in den Nachrichten … Iran hat eben …«
    »Das Todesurteil. Erhöhung des Kopfgelds. Ich weiß, ich weiß, aber Sara will sich nicht mehr mit diesem Schicksal abfinden, ständig im Untergrund zu leben. Sie will raus!«
    Lise mußte aufstehen. Sie trat ans Fenster und schaute auf den Platz. Die Fußgänger schlängelten sich an aufgetürmten Pflastersteinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher