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Der Fluch der bösen Tat

Der Fluch der bösen Tat

Titel: Der Fluch der bösen Tat
Autoren: Leif Davidsen
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war er Psychologe. Er kriegte Geld dafür, sich verzwickte psychische Probleme anzuhören. Vielleicht war er deshalb so unfähig, ihr zuzuhören. Vielleicht paßte sie nicht in die Theorie seiner Lehrbücher. Vielleicht war das eigentliche Problem aber auch, daß sie ihm immer nur die Hälfte dessen erzählte, was sie fühlte und dachte.
    Lise holte die Zeitungen aus dem Flur. Politiken natürlich und Berlingske Tidende, um zu sehen, was das Feuilleton von der konservativen Konkurrenz machte. Sofort schlug sie Politiken auf und sah, daß sie ihren Artikel über die neue Galerie ziemlich schön unter einen Dreispalter gesetzt hatten, aber die Berlingske hatte ein Bild dabei. Das motzte den Artikel auf. Und dann wunderten sich die Idioten bei Politiken noch, daß die Auflage sank! Dann blätterte sie auf die Auslandsseiten um und überflog die Überschriften. Sie wollte sie sorgfältig lesen, wenn sie gefrühstückt hatte oder wenn sie in der Redaktion war. In letzter Zeit hielt sie nicht mehr viel zu Hause. Als ob es sie daran hinderte, sich zu konzentrieren. Sie schmiß die Zeitungen auf den großen blankgescheuerten Eichenholztisch, der die Wohnküche beherrschte. Die Kaffeemaschine zischte ein wenig. Draußen sang halbherzig ein Vogel.
    Ole kam herein und küßte sie auf die Wange, ehe er sich mit dem ersten Teil der Berlingske Tidende hinsetzte. Früher war er mal Linkssozialist gewesen, aber jetzt war er selbständig und hatte seine eigene Praxis.
    »Kannst du nicht das Radio ausmachen oder wenigstens leiser drehen?« sagte er.
    »Ich möchte die Nachrichten hören. Sie kommen gleich.«
    »Ob du sie jetzt hörst oder in einer Stunde, kann doch egal sein.«
    »Ich bin Journalistin.«
    »Na und?«
    »Ich muß mich informieren, Ole.«
    »Das kannst du noch auf der Arbeit.«
    »Mittlerweile haben wir jeden Morgen dasselbe Spiel.«
    »Der Tod muß ja einen Grund haben.«
    »Was meinst du denn damit?« fragte sie.
    Er blickte von seiner Zeitung auf. Aus dem Toaster ploppten die beiden Brotscheiben. Sie drehte sich automatisch um, um sie herauszunehmen.
    »Daß wir meiner Meinung nach unsere Energie damit verschwenden, uns um Bagatellen zu streiten, statt ernsthaft darüber zu reden, warum sich unsere Beziehung offenbar in einer Krise befindet.«
    Einen Moment lang stand sie sprachlos mit den heißen Toasts in der Hand da. Dann erst fühlte sie sie und schmiß sie fast auf den Tisch, wedelte mit den Händen und sagte »Au!«. Jetzt hatte sie bestimmt keine Lust, mit ihm zu sprechen. Sie wollte den Zeitpunkt selbst bestimmen.
    »Nun übertreib mal nicht. Hast du dich heut nacht nicht prächtig amüsiert? Nur, weil ich morgens Radio hören will.«
    Er beschäftigte sich wieder mit seiner Zeitung.
    »Ich habe einen langen Tag«, sagte er.
    »Stimmt es etwa nicht?«
    »Du bist immer heißblütig gewesen, Lise. Ich steh dir jederzeit zur Verfügung.«
    »Du bist entsetzlich.«
    »Das war übrigens ein Kompliment.«
    »Hörte sich nicht so an«, sagte sie, und er schaute wieder in seine Zeitung.
    »Vielleicht kann ich einen Termin bei dir kriegen«, fuhr sie fort. Sie hatte es nicht sagen wollen, es war ihr so herausgerutscht.
    Er blickte wieder auf. Er sah sie mit diesen müden, klugen Augen an, die tagtäglich die Torheit der Menschen an sich vorbeipassieren ließen, während die Sprechstundenhilfe die Rechnung ausstellte. Depressionen werden in Kronen und Øre gemessen. Lösungen haben eine Nummer in der Krankenversicherung. Hilfe wird in genau bemessenen Dosen geleistet. Warum hatte sie sich in ihn verknallt? Er war attraktiv, auch wenn er zehn Jahre älter war als sie. Begabt, redegewandt, aufgeschlossen, belesen, idealistisch, gut im Bett, amüsant, reiselustig. Kann sich ein Mensch in acht Jahren so radikal ändern? Oder hatte sie sich verändert?
    »Ich bin immer für dich da, Lise«, sagte er. »Das heißt, wenn du es wirklich willst.«
    »Ich möchte einfach gern die Rundfunknachrichten hören«, sagte sie und stellte Butter und Käse auf den Tisch, bevor sie in der Politiken blätterte, um nachzusehen, wie auf die Artikel von Freund und Feind reagiert worden war.
    »Guten Morgen, Lise«, sagte er und brachte sie doch zum Lächeln, so daß sie in Ruhe frühstücken konnten, bis sie den Radiojingle und die sonore Sprecherstimme hörte:
     
    Guten Morgen. In der vergangenen Nacht kam es wieder zu heftigen Kämpfen in Zentralbosnien. Die Serben setzen ihre Flucht aus der Krajina fort. Kopenhagen: Bei der Frage der
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