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Der Fluch der Abendröte. Roman

Der Fluch der Abendröte. Roman

Titel: Der Fluch der Abendröte. Roman
Autoren: Leah Cohn
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fort, sagte mir weder ihre Namen noch ihre Adresse. Irgendwann stand Aurora in der Tür, verharrte dort eine Weile und trat dann ans Bett, um Mia über den Kopf zu streicheln. Zunächst versteifte sich Mia, aber sie stieß sie nicht zurück.
    »Sie hat mir von ihnen erzählt«, sagte Aurora leise. »Sie wohnen in Norddeutschland, in Hamburg …« Sie machte eine kurze Pause und sagte mir dann Namen und Telefonnummer. Ich hinterfragte nicht, wieso sie die kannte, sondern stürzte zum Telefon.
    Warum leben sie nur so weit weg, ging es mir durch den Kopf.
    Auch wenn ich sie sofort erreichte, es würde Ewigkeiten dauern, bis sie von Hamburg hierhergekommen wären. So lange durften wir nicht warten, doch wir konnten Mia weder mitnehmen noch alleine lassen!
    Als ich mit zitternden Händen nach dem Telefonhörer griff, trat Cara dazwischen. »Lass mich das machen! Pack du das Nötigste ein …«
    Ich nickte, erleichtert, dass sie dieses nicht ganz einfache Gespräch übernehmen wollte, und eilte nach oben zum Schlafzimmer. Dort stand Nathan bereits über meinen Koffer gebeugt und legte diverse Kleidungsstücke hinein. Ich achtete nicht darauf, welche Auswahl er getroffen hatte, eigentlich war es mir egal, sondern ging weiter in mein Arbeitszimmer und blieb dort zögernd und plötzlich ganz unsicher stehen. Meine Bücher … mein Klavier … meine Noten … fast gar nichts davon würde ich mitnehmen können. Und würde ich jemals wieder arbeiten, Bücher schreiben, Klavierunterricht geben können?
    Nathan war mir lautlos gefolgt. Ich spürte seine Hände auf meinen Schultern, dann zog er mich an sich. »Es tut mir leid … es tut mir so leid.«
    »Hast du gewusst, dass in Aurora … dass in Aurora …«
    Ich konnte nicht weitersprechen.
    Dass in Aurora eine Weise steckt.
    Er strich mir über die Haare, die Schläfen, die Wangen.
    »Ich habe es geahnt. Aber ich dachte, es würde nicht mehr zählen. Ich dachte …«
    »Du dachtest dasselbe wie ich: Dass es uns möglich wäre, normal zu leben. Aber das können wir nicht. Das … dürfen wir nicht.«
    Ich drehte mich zu ihm um, umklammerte nun meinerseits seine Schultern und wollte ihn zu mir herabziehen, um ihn zu küssen. Doch er versteifte sich, sein Gesichtsausdruck wurde abweisend … und verzweifelt. »Ich hätte damals gehen sollen«, stieß er aus, »ich hätte dich nicht hineinziehen dürfen, und …«
    »Nein!«, unterbrach ich ihn und legte meinen Zeigefinger auf seine Lippen, um sie zu verschließen. »Nein, sag das nicht! Du bist geblieben, weil du mich liebst und weil ich dich liebe. Daran hat sich nichts geändert. Und daran wird sich nichts ändern. Was auch kommen mag, wir werden zusammen sein. Wir werden es gemeinsam schaffen. Wir werden alles tun. Für Aurora. Und für unsere Liebe. Es fällt mir schwer, hier fortzugehen, und ja, ich habe Angst, schreckliche Angst. Doch kein Opfer ist zu groß. Nicht für dich. Nicht für sie. Nicht für uns.«
    Ich löste meinen Finger von seinen Lippen und stellte erleichtert fest, dass in seinem Gesicht die Verzweiflung der Entschlossenheit gewichen war. Eine Entschlossenheit, die sich nun auch meiner bemächtigte: zu ertragen, zu lernen, zu warten, zu hoffen, zu kämpfen.
    Er beugte sich zu mir und küsste mich. Unsere Lippen trafen sich, unsere Zungen schmeckten einander, unsere Körper verharrten eine Weile eng umschlungen. Das würde sich niemals ändern, dachte ich – dieses tiefe Vertrauen, das seine Wärme und Nähe mir schenkten, diese Sehnsucht, seinen makellosen Körper zu halten und zu fühlen, mich an ihn zu schmiegen, mich ihm ganz und gar zu geben. Ich fuhr durch sein dunkles Haar, dann über seinen Nacken, seinen Rücken, während er meine Ohrläppchen, eine meiner sensibelsten Stellen, streichelte. Schauer liefen mir über den Rücken, kalt und heiß zugleich, doch bevor sie endgültig von mir Besitz ergriffen, löste er sich von mir.
    »Später …«, murmelte er, »wenn wir in Sicherheit sind …« Zum ersten Mal fürchtete ich mich nicht vor diesem Später. Nun war es auch eine Verheißung.
    Als wir mit dem gepackten Koffer ins Wohnzimmer kamen, nickte Cara uns zu. Sie hätte Mias Großeltern erreichen können, berichtete sie hastig. Diese wären sehr bestürzt gewesen, als sie gehört hätten, was passiert war – und zugleich unendlich erleichtert. Eigentlich hätten sie nach dem Tod ihrer Tochter Mathilda das Sorgerecht bekommen sollen, denn Lukas sei damals völlig durchgedreht gewesen
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