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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein
Autoren: Rae Carson
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zurückgekämmtes Haar, das sich im Nacken ringelt, braune Augen, wärmer als Zimt, und einen Mund, der so kräftig ist wie seine Finger.
    Kurz zuckt eine Regung über sein Gesicht – Nervosität? Enttäuschung? Aber dann lächelt er mich an, und es ist kein mitleidiges, kein hungriges Lächeln, sondern ein freundliches, das mich leicht die Luft einziehen lässt und mein Herz in hilflose Wärme taucht.
    König Alejandro de Vega ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe.
    Ich sollte sein Lächeln erwidern, aber meine Mundwinkel gehorchen mir nicht. Er beugt sich vor, und seine Lippen streichen kurz über meine – ein keuscher und sanfter Kuss. Mit dem Daumen berührt er meine Wange und flüstert so leise, dass nur ich es hören kann: »Schön, dich kennenzulernen, Lucero-Elisa.«
     
    Schüsseln und Teller mit Essen bedecken die lange Tafel, an der wir nebeneinander auf der Bank sitzen. Jetzt habe ich wenigstens etwas zu tun und muss mich nicht nur darauf konzentrieren, seinen Blicken auszuweichen. Unsere Schultern berühren sich kurz, als ich nach dem in Teig frittierten Tintenfisch und einem Glas Wein greife. Noch während ich kaue, denke ich darüber nach, welche Leckerbissen ich als Nächstes probieren will: grüne, mit Käse gefüllte Chilischoten
oder Schweinegeschnetzeltes in Walnusssauce? Vor dem Podest, auf dem sich unser Tisch befindet, hat sich die nobleza d’oro versammelt, Weinkelche in den Händen. Juana-Alodia mischt sich unter sie, schlank und schön und lächelnd, und die Edelleute lachen und scherzen gut gelaunt mit ihr. Immer wieder gleiten ihre Blicke zu dem Mann an meiner Seite. Wieso kommen sie nicht zu uns und stellen sich vor? Es ist ungewöhnlich, dass die goldene Horde die Gelegenheit, einen König zu umgarnen, nicht wahrnimmt.
    Ich fühle seine Augen auf mir ruhen. Gerade hat er mir zugesehen, wie ich mir knusprig gebratene Anchovis in den Mund geschoben habe. Es ist mir peinlich, aber dennoch kann ich dem Drang nicht widerstehen, seinen Blick zu erwidern.
    Er lächelt noch immer so freundlich. »Magst du Fisch?«
    »Ummm«, erwidere ich mit vollem Mund.
    Sein Lächeln wird noch breiter. Er hat wunderschöne Zähne. »Ich auch.« Damit greift auch er nach den Anchovis. Leichte Fältchen zeigen sich in seinen Augenwinkeln, als er kaut und mich weiter beobachtet. Leicht undeutlich fügt er hinzu: »Wir haben viel zu besprechen, du und ich.«
    Ich schlucke und nicke. Seine Worte sollten mich eigentlich nervös machen. Aber stattdessen breitet sich ein süßes Gefühl in meinem Bauch aus, weil der König von Joya d’Arena glaubt, ich sei jemand, mit dem man etwas besprechen kann.
    Unser Bankett geht viel zu schnell vorüber. Wir reden ein wenig, aber meist sitze ich wie eine Närrin da und kann nur auf die Bewegungen seiner Lippen starren und seiner Stimme lauschen.

    Er fragt nach meinen Studien, und ich platze damit heraus, dass ich eine hundert Jahre alte Kopie der Belleza Guerra besitze. Interesse flackert in seinen Augen auf, und er erklärt: »Ja, deine Schwester verriet mir bereits, dass du dich in der Kriegskunst gut auskennst.« Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Jedenfalls möchte ich nicht über Juana-Alodia sprechen, und mir wird klar, wie albern ich aussehen muss – eine Kindbraut, dick wie eine Wurst, die nie auf einem Pferderücken gesessen hat und einen Dolch allenfalls dazu führt, einen Braten anzuschneiden. Dennoch fasziniert mich der Krieg, und ich habe jedes Scharmützel studiert, das es in der Geschichte meines Landes je gegeben hat.
    Plötzlich senkt sich Schweigen über das muntere Geplauder der Edelleute. Ich folge ihren Blicken, die auf eine kleine, aus Holz gezimmerte Bühne gerichtet sind. Die Musiker sind verschwunden – ich habe nicht einmal gemerkt, dass das Spiel der Vihuelas verstummt ist, aber an ihrer Stelle stehen nun mein Vater und meine Schwester. Mit bloßem, sonnengebräuntem Arm hebt sie einen Kelch und sagt mit lauter, klarer Stimme: »Heute sind wir Zeugen der neuen Verbindung zwischen Joya d’Arena und Orovalle. Möge Gott sie segnen, mit Frieden und Verständnis, Wohlstand und Schönheit und«, sie lächelt breit, »mit vielen, vielen Kindern!« Lachen brandet durch den Bankettsaal, als hätte man nie einen ausgefalleneren und klügeren Segensspruch gehört. Mein Gesicht brennt, und ich hasse meine Schwester in diesem Augenblick mehr als je zuvor in meinem Leben.
    »Nun ist es an der Zeit, dem glücklichen Paar eine gute
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