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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein
Autoren: Rae Carson
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orangefarbene Flecken Bougainvillea, gesprenkelt mit gelber Allmanda und rosa Hibiskus.
    Der Herald ruft: »Seine königliche Majestät, Hitzedar de Riqueza, König von Orovalle! Ihre königliche Hoheit, Lucero-Elisa de Riqueza, Prinzessin von Orovalle!«
    Papá nimmt meine Hand und hebt sie auf Schulterhöhe. Seine Finger sind so feucht und glitschig wie meine, aber es gelingt uns, gleichmäßig vorwärtszuschreiten, während vier Musiker auf ihren Vihuelas den Hochzeitssegen spielen. Ein Mann steht, ganz in Schwarz gekleidet, am Ende des Mittelgangs. Sein Umriss ist zwar verschwommen, aber er ist weder klein noch bucklig. Und auch nicht dick.
    Wir schreiten an steinernen Säulen und Eichenbänken vorbei. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Dame, eigentlich nur ein Klecks blauer Farbe. Sie fällt mir auf, weil sie sich zur Seite beugt und etwas flüstert, als ich an ihr vorübergehe.
Ihre Begleiterin kichert. Meine Wangen brennen. Als ich meinen hochgewachsenen, ruhig dastehenden Verlobten erreiche, bete ich nur noch darum, dass er pockennarbig ist.
    Papá reicht meine glitschige Hand dem Mann in Schwarz. Dessen Hand ist groß, größer als Papás, und sie fasst mit gleichgültiger Selbstsicherheit zu, als spielte es keine Rolle, dass sich meine wie ein toter, nasser Fisch anfühlt. Am liebsten würde ich meine Finger zurückziehen, sie vielleicht an meinem Kleid abwischen.
    Hinter mir ist ein Schniefen zu hören, das durch die ganze Halle dringt. Das ist sicher Lady Aneaxi, die seit der Verkündigung meiner Hochzeit schon viele Tränen der Rührung vergossen hat. Vor mir steht der Priester und salbadert in der Lengua Classica über den Bund der Ehe. Ich liebe diese Sprache wegen der lyrischen Vokale und der Art und Weise, wie meine Zunge beim Sprechen gegen die Zähne stößt, aber jetzt höre ich die Worte kaum.
    Es gibt Dinge, an die zu denken ich mich seit der Verkündigung geweigert, die ich mit dem Studium von Büchern, mit Stickerei und Pasteten tief in mein Innerstes verdrängt habe. Aber jetzt, da ich hier in meinem Hochzeitskleid stehe, die Hand im eisernen Griff dieses hochgewachsenen Fremden, da fallen sie mir plötzlich ein, und mein Herz beginnt wild zu klopfen.
    Morgen werde ich ins Wüstenland Joya d’Arena reisen, dessen Königin ich dann sein werde. Der Jacaranda-Baum vor meinem Schlafzimmerfenster wird seine lila Blüten ohne mich tragen. Statt der bemalten Ziegelwände und den sprudelnden Springbrunnen werde ich eine steinerne, tausend Jahre alte Burg um mich herum haben. Ich tausche eine jüngere,
lebendigere Nation gegen ein gewaltiges, altes Land – von der Sonne verbrannt und erstarrt in den Traditionen, die meine Vorväter einst dazu brachten, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich hatte nicht den Mut, Papá oder Alodia nach dem Warum zu fragen. Weil ich Angst vor der Entdeckung habe, dass sie froh sind, mich bald los zu sein.
    Am meisten aber ängstigt mich, dass ich bald eine Ehefrau sein werde.
    Ich spreche drei Sprachen. Die Belleza Guerra und die Scriptura Sancta kenne ich beinahe auswendig. Ich kann in drei Tagen den Saum eines terno besticken. Und trotzdem fühle ich mich jetzt wie ein kleines Mädchen.
    Juana-Alodia hat sich stets um die Palastgeschäfte gekümmert. Sie ist es, die zu Pferd durchs Land reitet, die mit unserem Papá zusammen Hof hält und die Edelleute umschmeichelt. Von diesen Dingen, die Erwachsene tun, Ehefrauen, verstehe ich nichts. Und heute Nacht … an heute Nacht will ich gar nicht erst denken.
    Ich wünschte, meine Mutter wäre noch am Leben.
    Der Priester erklärt uns beide zu Mann und Frau, im Angesicht Gottes, des Königs von Orovalle und der nobleza d’oro. Er besprengt uns mit geweihtem Wasser, das aus einer tiefen Cenote geschöpft wurde, bedeutet uns dann, uns einander zuzuwenden, und sagt irgendetwas über meinen Schleier. Ich drehe mich zu meinem frisch angetrauten Ehemann. Meine Wangen sind heiß – ich weiß, dass sie fleckig sein und vor Schweiß glänzen werden, wenn er den schützenden Stoff von meinem Gesicht hebt.
    Er lässt meine Hand los. Ich balle sie zur Faust, damit ich sie nicht unwillkürlich an meinem terno abwische. Seine
Finger berühren den Saum meines Schleiers. Sie sind braun und breit, mit kurzen, sauberen Nägeln. Keine Gelehrtenhände, wie die Meister Geraldos. Er hebt den Schleier, und ich muss unwillkürlich blinzeln, als kühle Luft meine Wangen streift. Dann sehe ich zum Gesicht meines Gatten auf, sehe schwarzes,
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