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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein
Autoren: Rae Carson
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Worte hört. Ich nicke, und plötzlich wird mir warm; der Feuerstein flackert heiß und heftig auf. Ist das eine Warnung? »Ich gebe dir einige Brieftauben mit«, fährt sie fort. »Benutze sie, wenn du mir schnell eine Nachricht schicken musst. Wenn du angekommen bist, zögere nicht, deinen Platz zu beanspruchen. Hab keine Angst davor, Königin zu sein.«
    Sie drückt ihre Wange an meine und streicht mir seufzend übers Haar. »Alles Gute, Elisa, kleine Schwester.«
    Ich stehe einfach nur da, völlig verblüfft. Mein Ehemann nimmt meine Hand und zieht mich an den vielen Gratulanten vorbei zu unserer Kutsche. Ich weiß, dass ich den Kopf heben und lächeln sollte, den Edelleuten einen letzten, herrlichen Blick auf ihre Prinzessin gönnen, die nun ihre Reise ins ewige Glück antritt. So würde es Alodia machen. Aber mein Blick ist zu tränenverschleiert, mein Gesicht zu heiß, und das nur wegen dieser Umarmung, weil meine Schwester mich nicht mehr so festgehalten hat, seit wir kleine Kinder waren.
    Die Stufen der Kutsche sind zu hoch, als dass ich sie elegant hinaufklettern könnte. Die fremden Leibgardisten sehen zu, wie Alejandro als Erster einsteigt und mich dann zu sich emporzieht. Ich lächele ihn dankbar an. Samenkörnchen und Blütenblätter haben sich in seinem schwarzen Haar verfangen. Unwillkürlich fährt meine Hand zu meinem
eigenen Schopf, und ich frage mich, wie lange Ximena brauchen wird, um alles wieder herauszukämmen. Meine Kinderfrau hat längst zusammen mit Lady Aneaxi in der hintersten Kutsche Platz genommen, und plötzlich kann ich es nicht mehr erwarten, sie wiederzusehen und mich von ihnen umsorgen zu lassen. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich zu ihnen hinübergehen, nehme ich mir vor.
    Die Sitze sind mit dickem blauem Samt bezogen, doch trotzdem spüre ich eine starke Erschütterung, als sich das Gefährt in Bewegung setzt. Die nobleza d’oro jubelt laut, und für kurze Zeit ist die Luft von Körnern und Blumen und wild winkenden Armen erfüllt. Die Fenster der Kutsche sind hoch genug, dass ich über den ganzen Vorplatz sehen kann, über die feiernde Menge, bis zu meinem Vater und meiner Schwester. Die Morgensonne steht schon hoch am Himmel und wirft ein goldenes Licht auf die roten Ziegel des ausufernden Palastes, auf die Mauern des schönen Amalur. Ich sauge den Anblick der Torbögen mit den grünen Kletterpflanzen, der gepflasterten Straßen und gefliesten Springbrunnen tief in mich ein. Doch vor allem ist es meine Schwester, die immer wieder meinen Blick auf sich zieht. Ihre Augen sind geschlossen, und ihre Lippen bewegen sich, als ob sie betet. Die Sonne schimmert auf ihren Wangen und lässt die Feuchtigkeit darauf glitzern.

3

    A lejandro scheint es zu genügen, meine Gesellschaft schweigend zu genießen. Ich halte meine Hände im Schoß gefaltet und tue so, als mache es mir nichts aus, dass sich die Kutsche unaufhaltsam von meinem Zuhause entfernt. Dabei denke ich über die verschiedensten Wege nach, ein Gespräch anzufangen. Alodia macht stets geistreiche Bemerkungen über Schiffbau oder die Wollpreise oder dergleichen, aber solche Themen würden aus meinem Mund seltsam klingen. Ich sollte Alejandro nach unserer Ehe fragen und danach, wieso meine Schwester zu so viel Vorsicht geraten hat, aber es macht mir weniger Angst, einfach still zu sein.
    Mit einem Ruck bleibt die Kutsche stehen, und die Tür schwingt auf. Sonnenlicht erstrahlt hinter dem riesigen Umriss eines Leibgardisten, und ich hebe den Unterarm, um mich gegen den grellen Schein zu schützen. Verwirrt sehe ich meinen Gatten an.
    »Es ist alles in Ordnung, Elisa«, sagt er. »Er wird dich zu deiner Kutsche bringen.«
    Wie bitte? Ich versuche, mir einen Reim darauf zu machen. »Meiner …?«

    »Es wäre leichtsinnig, wenn meine Frau und ich in derselben Kutsche fahren würden.«
    Mein Gesicht beginnt wieder zu brennen, als er »meine Frau« sagt, und dann erst kann ich mir die Bedeutung der Worte erschließen. Ich habe von solchen Dingen gelesen. In Zeiten des Krieges dürfen ranghohe Persönlichkeiten nie ein gemeinsames Ziel bieten. Ich nicke und fasse nach der Hand des Gardisten. Eine raue Hand, stark und unfreundlich.
    »Ich werde nach dir sehen, wenn wir zum Essen anhalten«, sagt mein Ehemann.
    Wir steigen aus und entfernen uns einen Schritt von der Kutsche, der unfreundliche Leibwächter und ich, und dann führt er mich zur Nachhut unserer staubigen Prozession. Tempelbäume voll weißer Blüten säumen die
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