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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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Tabaret erstaunt, ehe er fortfuhr: »Sie haben sich wohl sehr um sie gesorgt.«
    Â»Den Schrecken können Sie sich vorstellen«, antwortete der Anwalt, bemüht, beherrscht zu erscheinen. »Wie ist denn alles passiert?«
    Noël zögerte, ehe er antwortete: »Madame Gerdy erlitt einen furchtbaren Schock, als sie davon las, daß eine Frau, eine Witwe Lerouge, an der sie großes Interesse hatte, ermordet aufgefunden worden ist.«
    Vater Tabaret mußte mit aller Gewalt an sich halten, um nicht seine Erregung zu zeigen und Noël mit Fragen zu bestürmen. Aber er durfte kein übermäßiges Interesse zeigen, durfte seine Zusammenarbeit mit der Polizei nicht verraten.
    Â»Ihre Mutter kannte also die Witwe Lerouge?« fragte er so ruhig wie möglich.
    Â»Die Ermordete war Madame Gerdy mit Leib und Seele ergeben.«
    Â»Kannten Sie die Frau auch?«
    Â»Das kann man wohl sagen. Ich liebte sie, auch wenn ich sie seit langem nicht mehr gesehen habe. Sie war meine Amme.«
    Â»Was ... diese Frau ... Ihre Amme?« Tabaret war, als hätte ihn der Blitz getroffen. Madame Lerouge Noëls Amme! Er fühlte sich, als habe die Vorsehung ihn auf diese Fährte geführt. Wo er zuvor noch mit Vermutungen hatte auskommen müssen, würde er bald von Gewißheit geleitet werden. Um seine Erregung über die Wendung nicht zu zeigen, sagte er: »Das muß ein schwerer Schlag für Madame Gerdy sein.«
    Â»Für Madame Gerdy? Das weiß ich nicht. Aber für mich bedeutet dieser Tod das Ende meiner Hoffnungen. Mir bleibt nur noch, diesen Mord zu rächen, der meine Zukunftsträume zerstört hat. Ich bin sehr unglücklich, Vater Tabaret.«
    Â»Sie?« Tabaret ging der Kummer seines geliebten Noël zu Herzen. »Erklären Sie mir, um Gottes willen, wie Sie das meinen.«
    Â»Man hat mir nicht nur ein nicht wiedergutzumachendes Unrecht zugefügt. Ich muß dazu noch befürchten, daß man mir vorwirft, ein Lügner und Intrigant zu sein. Und ich kann mich nicht einmal dagegen wehren.«
    Tabaret war verwirrt. Was für ein Zusammenhang konnte zwischen Noëls Ehre und dem Verbrechen von Jonchère bestehen?
    Â»Nehmen Sie sich zusammen«, sagte er. »Was sollten Sie schon zu befürchten haben? Ich bin doch Ihr Freund, Noël!«
    Â»Und darum sollen Sie auch das Geheimnis erfahren«, sagte der Anwalt mit plötzlichem Entschluß. »Ich brauche einen Freund, der mir raten und mir Mut machen kann. Aber was ich Ihnen zu sagen habe, darf keiner hören. Gehen wir in mein Arbeitszimmer.«
    * * *
    T abaret hatte ein ungutes Gefühl, als sie die Tür zu Noëls Arbeitszimmer hinter sich geschlossen und Platz genommen hatten.
    Â»Wenn Ihre Mutter Hilfe braucht ...«, sagte er.
    Â»Das Mädchen kümmert sich um sie.«
    Die Kälte, die in diesen Worten lag, ließ Tabaret stutzen.
    Â»Sie scheinen etwas gegen Ihre Mutter zu haben. Aber das ist morgen schon vergessen. Also sprechen Sie nicht so kühl von ihr. Und dann: Nennen Sie Ihre Mutter nicht immer Madame Gerdy.«
    Â»Wenn aber ... Ich meine, wenn ...« Er sprang von seinem Stuhl auf. »Vater Tabaret, Madame Gerdy ist nicht meine Mutter.«
    Der Alte war wie gelähmt. »Ist Ihnen klar«, sagte er, »was Sie da behaupten? Das ist doch unwahrscheinlich.
    Â»Es ist aber wahr«, sagte Noël mit Nachdruck. »Diese Frau hat seit meiner Geburt eine unwürdige Komödie gespielt, um ihren wirklichen Sohn im adligen Stand und um ihm seinen Wohlstand zu erhalten.«
    Tabaret wollte etwas erwidern, aber Noël, erfüllt von Erregung, ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Noch nie ist ein Mann grausamer getäuscht worden als ich. Und ich habe diese Frau verehrt! Und dabei begann ihre Falschheit schon, als sie mich das erste Mal auf den Schoß nahm. Nichts als Heuchelei! Könnte ich doch die unschuldigen Küsse meiner Kindheit ungeschehen machen! Sie hat mich meiner Rechte beraubt, um ihrem Bankert alles zuzuschanzen, was mir zusteht: einen adligen Namen und eine reiche Erbschaft.«
    Â»Sie erheben da einen schweren Vorwurf. Wenn das stimmt, was Sie behaupten, dann müßte Madame Gerdy ein hohes Maß an Mut und Geschicklichkeit besitzen. Vermutlich hat sie Helfer gehabt, vielleicht hat man sie zu ihrer Handlungsweise gezwungen. Wer aber waren ihre Helfer? Vielleicht ihr Mann?«
    Â»Sie halten sie, wie alle, für eine
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