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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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eine Familie ankam, sagte ich mir, daß ich ein Hundsfott von einem Sohn wäre, wenn ich ihn im Stich ließe. Die Frau, die ich heiraten wollte, wartete Jahre. Sie war arm. Ich hätte nicht sie und den Vater ernähren können ... Ich verlor sie aus den Augen. Ich war ein ausgepowerter Mann, als mein Vater starb. Dieser verfluchte Alte!«
    Â»Monsieur!«
    Â»Ach, ich habe ihm längst vergeben. Als Christ muß man das wohl. Aber meinen Zorn habe ich behalten. Als ich an seinem Todestage seine Papiere durchblätterte – vielleicht, dachte ich, finde ich wenigstens das Geld für seine Beerdigung –, stieß ich auf eine Obligation, die eine Rente von zwanzigtausend Francs im Jahr abwarf.«
    Â»Dann war er nicht ruiniert?«
    Â»Diese Rente war nicht alles. Bei Orleans besaß er ein Anwesen, das sechstausend Francs Pacht abwarf. Außerdem gehörte ihm noch das Haus, in dem ich jetzt wohne und in dem ich auch mit ihm zusammen gelebt hatte. Ich Narr hatte all die Jahre die Miete an den Verwalter bezahlt!«
    Daburon fühlte sich nicht wohl angesichts dieser Enthüllungen. »Ein seltsames Geschick«, sagte er.
    Â»Und wie mir zum Hohn erklärte er in seinem Testament, er hätte bei allem nur meinen Vorteil im Auge gehabt. Ich hätte Sparen lernen sollen! So war ich mit fünfundvierzig ein reicher Mann, der zwanzig Jahre lang nicht einen Sou für sich verwandt hatte. Mein Glück war dahin.«
    Daburon konnte sich des Mitleids mit dem Alten nicht erwehren, und wie zum Trost sagte er: »Es muß Ihnen doch Freude gemacht haben, plötzlich reich zu sein.«
    Â»Es kam zu spät. Ich gab meine Stellung bei dem Pfandleiher auf und wurde ein Lebemann und langweilte mich dabei. So entschloß ich mich, einer Passion nachzugehen, und ich begann Bücher zu sammeln. Ich baute eine Sammlung auf, die alles Gedruckte umfaßt, was mit der Polizei zu tun hat, und sei es auch nur am Rand. Und ich las auch, was ich zusammentrug, und je mehr ich las, desto mehr fühlte ich mich von den Männern angezogen, die die Menschen vor Betrug und Gewalt schützen sollen. Ich spürte den Drang in mir, gleichfalls ein Teil dieses Apparats zu werden und dazu beizutragen, das Verbrechen zu verfolgen. Heute kann ich mit Stolz von mir behaupten, daß ich dieses Ziel erreicht habe.«
    Â»So haben Sie denn Ihre Befriedigung gefunden?«
    Â»Der Kriminalistik verdanke ich den Sinn meines Lebens. Ach, diese Jagd auf einen Verbrecher! Wenn die Leute nur ermessen könnten, wie prickelnd dieses Verstecken und Aufstöbern ist. Leider werden die raffinierten Verbrechen immer seltener.«
    Â»Unser Mann«, sagte Daburon mit einem Lächeln, »scheint da eine Ausnahme zu machen.»
    Â»Da haben Sie recht, Monsieur. Dieser Fall ist eine Ausnahme, und ich brenne darauf, ihn zu lösen.«
    Für den Rest der Fahrt war das Verbrechen der einzige Gesprächsgegenstand. Gevrol sollte sich in Bougival niederlassen, um alle Bauern in einer Woche zu vernehmen. Daburon versprach, ihn sofort zu informieren, falls Papiere gefunden würden, die über die Vergangenheit der Witwe Lerouge Auskunft geben konnten.
    In Paris angekommen, winkte sich Daburon eine Droschke herbei und bot Vater Tabaret einen Platz an.
    Â»Das lohnt nicht«, sagte der Alte, »die Rue Saint-Lazare, wo ich wohne, liegt nur ein paar Minuten von hier.«
    Â»Dann bis morgen«, sagte Daburon zum Abschied.
    * * *
    V ater Tabaret gehörte ein gut erhaltenes Haus, das für ihn allein viel zu groß gewesen wäre. So bewohnte er nur einige schöne Zimmer, gut möbliert und vor allem bemerkenswert durch seine Bibliothek, im Erdgeschoß. Er lebte bescheiden und wurde von Nanette, einer alten Haushälterin, umsorgt. Seine Leidenschaft für die Kriminalistik prägte auch seinen Lebensstil. Er verließ und betrat das Haus zu jeder Tag- und Nachtstunde, blieb oft die Nächte über weg und war manchmal wochenlang nicht anzutreffen. Nicht selten empfing er merkwürdige Besucher: finstere Männer mit verdächtigem Äußeren, furchterregende Kerle. Viele Nachbarn glaubten, Tabaret nutze seine Freiheit hemmungslos aus und vertue sein Geld. Tabaret lachte nur darüber.
    Mit seinen Mietern pflegte er wenig Verkehr, mit einer Ausnahme, und diese Ausnahme galt der verwitweten Madame Gerdy, die seit mehr als fünfzehn Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn die dritte Etage
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