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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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eleganten jungen Mann das Bündel nicht lästig?«
    Â»Ich glaube, nicht lange«, antwortete Tabaret, »er hat es weggeworfen auf dem Weg zur Bahnstation, als er am Wasser vorbeiging. Da liegt es jetzt wahrscheinlich, auf dem Grund der Seine. Drei Leute suchen schon auf meinen Auftrag hin den Fluß mit Netzen ab. Und sie bekommen eine Belohnung, wenn sie das Bündel finden.«
    Â»Wohl aus Ihrer Tasche, wie?«
    Â»Erraten, Monsieur Gevrol.«
    Gerade in diesem Augenblick trat ein Polizist ein. Er sagte: »Hier sind drei Männer, die eine Serviette mit Silber und Schmuck bringen. Sie haben sie aus dem Wasser gefischt, sagen sie, und sie fragen nach der Belohnung.«
    Tabaret gab dem Polizisten eine Hundertfrancnote. Dann fragte er, ohne Gevrol zu beachten: »Nun, Monsieur Daburon, wie finden Sie das alles?«
    Â»Ich finde ...« Monsieur Daburon kam nicht dazu, auszusprechen, was er fand. Der Arzt kam zur Leichenschau, und er bestätigte die Annahme Vater Tabarets, nach der ein kurzer heftiger Kampf stattgefunden hatte. Auch bestätigte er, daß die Ermordete bereits einige Stunden vor ihrem Tode zu Abend gegessen hatte.
    Jetzt lag der Tathergang zutage. Es fehlte nur noch der Täter.
    Sorgfältig untersuchte Tabaret die Finger der Toten und entfernte einige winzige Stücke grauen Wildleders unter den Nägeln. Alles in allem war es nicht viel, was an Tatsächlichem festgestellt worden war; aber für Daburon stand doch so viel Wesentliches fest, daß er Hoffnung hegte, den Verbrecher zu finden. Er vertraute darauf, daß Vater Tabaret ihn auf die richtige Fährte gebracht hatte.
    Die Nacht war angebrochen, Daburons Mission in Jonchère beendet. Gevrol wollte noch bleiben, um der Spur, dem Mann mit den Ohrringen, zu folgen. Also gab Daburon das Zeichen zum Aufbruch, und er bat Tabaret, ihn zu begleiten.
    Â»Gerade wollte ich Sie um diese Ehre bitten«, sagte der alte Mann, und so verließen sie gemeinsam den Ort des Verbrechens, das natürlich Gegenstand ihrer Unterhaltung blieb.
    Â»Alles hängt davon ab«, sagte Tabaret, »ob wir das Vorleben dieser Frau ermitteln können.«
    Â»Wenn die Witwe Lerouge, wie die Ladenbesitzerin behauptet hat, mit einem Seemann verheiratet gewesen ist und einen Sohn mit Namen Jacques bei der Marine hat, müßten wir im Marineministerium Auskunft erhalten können. Heute nacht noch werde ich an das Ministerium schreiben.«
    Im Zug fanden sie ein leeres Abteil. Doch Tabaret war nicht sonderlich zu einer Unterhaltung aufgelegt. Daburon, der sich von diesem sonderbaren Mann mit der originellen Neigung, seine Dienste der Polizei in der Rue de Jerusalem zur Verfügung zu stellen, angezogen fühlte, fragte ihn: »Sind Sie eigentlich schon lange bei der Polizei?«
    Â»Mehr als neun Jahre, und ich bin einigermaßen erstaunt, daß Sie bisher nichts von mir gehört haben.«
    Â»Vom Hörensagen kenne ich Sie«, antwortete Daburon, »und gerade weil ich von Ihren Fähigkeiten wußte, kam mir die Idee, Sie um Ihre Mitarbeit zu bitten. Was ich nicht verstehe, ist: Warum haben Sie sich diese Beschäftigung erwählt?«
    Â»Sagen wir: Einsamkeit oder Langeweile.«
    Â»Es heißt, Sie sind wohlhabend.«
    Â»Ich stehe mich jetzt gut, Monsieur«, sagte Tabaret mit einem Seufzer. »Aber es war nicht immer so; bis zu meinem fünfundvierzigsten Lebensjahr war mein Dasein gewissermaßen sinnlos, voll von sinnlosen Entbehrungen. Mein Vater hat meine Jugend und meine besten Mannesjahre zerstört ... Ich habe ihm längst verziehen ... Ich werde Ihnen meine Geschichte erzählen: Mit fünfundzwanzig arbeitete ich als Schreiber bei einem Pfandleiher und verdiente zweitausend Francs im Jahr, und eines Morgens kam mein Vater in meine Wohnung und erklärte mir, er sei ruiniert. Er bat um Nahrung und Wohnung. Ich liebte meinen Vater und konnte seine Verzweiflung nicht ertragen. So schwor ich ihm, es sollte ihm an nichts mangeln. Fortan – darauf bestand ich – würden wir zusammen leben. Und zwanzig Jahre war er eine schwere Last für mich. Es gab keine Vergnügungen mehr für mich, keine Freunde. Nach des Tages Arbeit kopierte ich Akten für einen Advokaten. Und doch konnte ich meinen Vater nie zufriedenstellen. Er jammerte nur seinem verlorenen Vermögen nach und verlangte andauernd Geld von mir. Ich war an ihn gekettet, und wenn mich der Gedanke an Liebe und
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