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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge
Autoren: Èmile Gabroriau
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hat sich ihr Schweigen bezahlen lassen. Aber dann ist sie immer unverschämter geworden, bis es den Leuten zuviel wurde. Aber wer hat die Tat vollbracht? Der Vater? – Nein, der ist zu alt. Oder ... Donnerwetter, der Sohn, das Kind selbst? Vielleicht wollte er die Mutter schützen?«
    Nanette, die am Schlüsselloch horchte, konnte kaum etwas verstehen und glaubte, daß dem Alten Weiber im Kopf herumspukten. Um besser verstehen zu können, was ihr Herr da vor sich hin sprach, öffnete sie die Tür einen Spalt. Dabei wurde sie von Tabaret erwischt, und ihr blieb nichts, als zu fragen, ob sie den Kaffee bringen solle.
    Â»Bringen Sie ihn.«
    Als er zu hastig trank, verbrühte er sich die Zunge, fluchte, sprang vom Tisch auf und nahm Stock und Hut.
    Â»Sie gehen noch aus?« fragte Nanette erstaunt.
    Â»Ja«, beschied Tabaret sie kurz und verließ die Wohnung.
    Wenig später klingelte er an der Wohnungstür von Madame Gerdy.
    Madame Gerdy hatte ein gutes Einkommen, und ihr Sohn verdiente viel. Dabei lebten Mutter und Sohn sehr zurückgezogen. In den fünfzehn Jahren, die Tabaret schon in der Familie verkehrte, waren ihm nur der Pfarrer, ein alter Professor und Madame Gerdys Bruder, ein verabschiedeter Oberst, begegnet, mit denen er sich, trafen sie einmal alle zusammen, zu einer Partie Whist niederließ. Tabaret achtete Noël besonders wegen der Liebe und der Fürsorge, die er seiner Mutter zuteil werden ließ, und Madame Gerdy lebte nur für ihren Sohn, in dem sie den Inbegriff aller guten Eigenschaften sah.
    Vater Tabaret ging an dem jungen Mädchen, das ihm öffnete, vorbei, ohne auf die Antwort auf seine Frage zu warten, ob Madame Gerdy zu Haus sei. So bewegt sich nur jemand in einer fremden Wohnung, der weiß, daß er jederzeit willkommen ist.
    Im Salon brannte nur eine Lampe, auch stand der Spieltisch nicht, wie üblich, in der Mitte des Zimmers, und Madame Gerdys Lehnsessel war ans Fenster gerückt. Vor dem Sessel lag, völlig zerknüllt, eine Zeitung. Mit detektivischem Scharfblick erfaßte Tabaret die ungewohnte Szene.
    Â»Ist hier etwas passiert?« fragte er das Mädchen.
    Â»Madame kränkelt doch seit einem Monat«, erwiderte das verstörte Mädchen. »Sie ißt kaum mehr etwas. Und heute morgen ...«
    Â»Was heute abend gewesen ist, will ich wissen.«
    Â»Madame ging wie immer nach dem Souper in den Salon und wollte die Zeitung von Monsieur Noël lesen. Aber kaum hatte sie angefangen, als sie einen gellenden Schrei ausstieß und wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. Monsieur Noël trug sie in ihr Zimmer, wollte aber keinen Arzt holen und sagte, er wisse, was Madame fehle.«
    Â»Und jetzt?«
    Â»Ist sie wieder bei Besinnung, genau weiß ich das allerdings nicht. Monsieur Noël hat mich aus dem Zimmer geschickt. Aber sie hat die ganze Zeit vor sich hin gesprochen, ziemlich laut und ziemlich merkwürdiges Zeug.«
    Â»Sie haben also an der Tür gelauscht.«
    Â»Ich schwöre ... aber Madame schrie so laut.«
    Â»Fragen Sie mal Nanette, wie schlecht man an Türen hört. Und nun: Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit! Ich werde hier auf Monsieur Noël warten.«
    Tabaret setzte sich mit der Zeitung neben den Kamin, hatte aber noch keine Minute gelesen, als er einen Ruf des Erstaunens ausstieß und aus dem Sessel sprang. Und das war die Notiz, die ihn so erregt hatte:
    Ein schreckliches Verbrechen hat die Bevölkerung des Dorfs Jonchére in Verwirrung gestürzt. Eine Witwe namens Lerouge wurde in ihrem Haus ermordet aufgefunden. Die Polizei nahm sofort die Untersuchungen auf. Nach unseren Informationen sind die Behörden dem Täter auf der Spur.
    Â»Sollte Madame Gerdy ...?« fragte sich Tabaret. Doch sofort wies er den Gedanken von sich und setzte sich achselzuckend wieder in den Sessel. Dabei murmelte er: »Ich kann schon nur noch an die Geschichte in Jonchère denken.«
    Während er die Zeitung durchblätterte und nichts Aufregendes mehr fand, dachte er, daß es aber doch eigentümlich sei, daß Madame Gerdy ...
    Ehe er den Gedanken zu Ende denken konnte, wurde die Tür zu Madame Gerdys Zimmer geöffnet, und Noël betrat den Raum. Er war blaß und machte einen niedergeschlagenen Eindruck.
    Â»Ah, wie geht es Ihrer Mutter, mein lieber Noël?«
    Â»Madame Gerdy geht es den Umständen entsprechend ...«
    Â»Madame Gerdy?« wiederholte
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