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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst
Autoren: Jorg Kastner
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alltäglichen weltlichen Probleme nicht so wichtig zu nehmen und sich auf den Glauben zu besinnen.»
    In Tessaris Raubvogelgesicht zuckte es, als müsse er ein Grinsen unterdrücken. «Sie scheinen aus Erfahrung zu sprechen, Monsignore.»
    «Wer glauben will, muss leiden.» Der Kaplan wandte sich Alexander zu. «Ihr Leid allerdings, Adjutant Rosin, ist eins, dessen Sinn menschlicher Geist nur schwer zu erfassen vermag.
    Ich bin gekommen, um mich Ihrer anzunehmen. Das heißt, falls Sie meine Hilfe benötigen.»
    Alexander schluckte einen Kloß in seinem Hals hinunter. «Ich fühle mich zurzeit nicht in der Lage zu beten.»
    Imhoof nickte verständnisvoll. «Die Zeit wird kommen, und ich werde für Sie da sein. Suchen Sie mich auf, sobald Ihnen danach ist, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und jetzt verlassen Sie diesen schrecklichen Ort und versuchen Sie, zur Ruhe zu kommen. Das ist ein Befehl.»
    Er sprach in freundschaftlichem Tonfall, aber er durfte, obwohl er Geistlicher war, den Schweizern Befehle erteilen. Als Gardekaplan bekleidete er den Rang eines Oberstleutnants und stand damit nach dem Kommandanten und seinem Stellvertreter in der Befehlshierarchie an dritter Stelle.
    Utz trat vor. «Ich kann Alexander begleiten. Ich muss ohnehin wieder zu Sant’Anna.»
    «Einverstanden», sagte Oberstleutnant von Gunten, und Utz schob seinen Kameraden sanft auf den Flur. Kaum waren sie draußen, zuckte ein greller Blitz durch die Wohnung.
    Der Regen trommelte unvermindert heftig auf die Dächer der drei Kasernentrakte. In den Schlafräumen der Gardisten herrschte Dunkelheit. Alexander stand unter dem Schutz eines schmalen Dachvorsprungs und blickte über den Kasernenhof zum Wohnhaus der Offiziere und Verheirateten. Die erleuchteten Fenster waren verwaschene Flecke hinter den Regenschleiern, die beiden Vigilanzamänner am Hintereingang kaum zu erkennen.
    Er wusste nicht, wie lange er hier schon stand. Zeit war bedeutungslos für seine Gedanken, die in der Vergangenheit weilten, bei seinem Onkel Heinrich und bei Juliette. Aber auch bei seinem Vater, den er ebenso überraschend verloren hatte.
    Zehn Jahre war das her, doch die Albträume hörten nicht auf.
    Tief sog er die kühle Nachtluft ein. Seine unregelmäßigen Atemzüge entsprachen seiner Erregung. Er hatte Utz gebeten, ihn auf dem Hof allein zu lassen; er hatte trotz des Regens frische Luft tanken wollen, und Utz war nach einem letzten besorgten Blick auf den Kameraden zunächst zur Waffenkammer gegangen, um zu überprüfen, ob sie ordnungsgemäß verschlossen war. Es sei alles in Ordnung, hatte er Alexander noch zugerufen, und dann war er zum Sant’Anna-Tor gegangen, wo die Kameraden schon auf ihn warteten.
    Seit ihrem gemeinsamen Wehrdienst bei den Fernmeldern waren Alexander und Utz befreundet. Als Alexander, der Familientradition folgend, in die Schweizergarde eintrat, war Utz mehr aus persönlicher Verbundenheit denn aus Überzeugung mitgekommen. Vielleicht hatte auch Fernweh eine Rolle gespielt, Utz war bis dahin kaum über das Wallis hinausgekommen. In Rom hatte sich gezeigt, dass mehr in ihm steckte als ein auf die Welt neugieriger Bauer. Er versah seinen Dienst in der Garde mit großer Hingabe. Wie von Gunten gesagt hatte: Utz war nicht zufällig der Armiere, der Waffenwart.
    Im Rücken den kalten Mauerstein, vor sich den prasselnden Regen, stand Alexander still in seinem geschützten Winkel und konnte nicht anders, als wieder und wieder an die drei Toten da drüben zu denken. Mörder und Ermordete, vereint im ewigen Schlaf.
    Er stellte sich vor, wie Marcel Danegger über den nachtdunklen Hinterhof geschlichen war und – vom Regen durchnässt und zum Töten entschlossen – an der Wohnungstür des Kommandanten geklingelt hatte. Hatte er die SIG 75 schon in der Hand gehalten, als Heinrich Rosin öffnete, oder hatte der Oberst Daneggers Absicht erst erkannt, als dieser in den Flur trat? Spätestens als die beiden Schüsse auf Heinrich Rosin abgefeuert wurden, musste Juliette neugierig geworden sein. Sie war zum Flur gelaufen.
    Vielleicht hatte Danegger sie erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt.
    Ihre Blicke hatten sich getroffen – er zum Töten entschlossen, sie in der Erkenntnis, dem Tod geweiht zu sein. Auch die Flucht zurück ins Wohnzimmer hatte Juliette nicht retten können. Wohin hätte sie im Dachgeschoss fliehen sollen? Der Schuss in den Rücken hatte ihrer Angst ein Ende gesetzt.
    Alexander sah ihr schönes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den
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