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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst
Autoren: Jorg Kastner
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Pullovers stand in einem obszönen Kontrast zu dem roten Fleck rund um das Einschussloch.
    Alexander kniete sich neben sie und drehte ihren Kopf so weit herum, dass er in ihre großen Augen sehen konnte. Kein Zweifel, seine Tante Juliette war tot. Tränen stiegen ihm in die Augen.
    Schon eine ganze Weile bemerkte er die Helligkeit, die immer wieder aus Richtung Flur aufzuckte. Jetzt waren die Blitze ganz nah und noch um einiges greller. Folco Lafranchi ging langsam um die Tote herum und nahm sie aus allen Richtungen auf. Das hohlwangige Gesicht des Fotografen wirkte konzentriert und bar jeden Mitgefühls. Die tote Frau des Gardekommandanten schien für ihn nicht mehr zu sein als ein Objekt seiner Arbeit.
    Alexanders Blick glitt über Juliettes rabenschwarzes Haar, das der Todeskampf in wirre Strähnen zerfasert hatte, dann über den weißen Pullover mit dem grässlichen roten Fleck. Unwillkürlich dachte er an das schlafende Schneewittchen und den vergifteten Apfel, das Symbol des Sündenfalls. Ein Barockgemälde, das er in der vatikanischen Pinakothek gesehen hatte, fiel ihm ein: Ein schwarz gewandetes Gerippe, der Tod, reckte nackten Männern und Frauen einen rot schimmernden Apfel entgegen. Hatte auch Juliette sich schuldig gemacht?
    Ein neuer Blitz schnitt in seine düsteren Gedanken. Juliettes schwarzer Wollrock war über den schlanken, schwarz bestrumpften Beinen weit nach oben gerutscht. Für einen Augenblick hob Lafranchi den Kopf und blickte über seine Kamera hinweg auf die Tote, noch immer völlig ausdruckslos.
    Zorn kochte in Alexander hoch. Er stieß sich vom Boden ab.
    Wie eine Raubkatze sprang er den Fotografen an und drückte ihn rücklings gegen die Wand. Lafranchis Kopf schlug gegen einen Zinnteller mit dem eingravierten Bildnis des verstorbenen Papstes. Der Teller löste sich aus der Halterung und fiel mit einem harten Scheppern aufs Parkett. Alexanders Hände umklammerten Lafranchis Hals.
    «Lass Juliette in Ruhe! So kommt sie nicht in die Zeitung. Sie ist tot, verstehst du? Tot!»
    Lafranchis Antwort erstarb in einem dumpfen Gurgeln. Er bekam kaum noch Luft. Alexanders Daumen drückten gegen seinen Kehlkopf, ein Griff, den jeder Gardist im Nahkampftraining lernte. Wenn er den Druck erhöhte, würde der Fotograf an seinem eigenen Adamsapfel ersticken.
    Jemand packte Alexander hart an der Schulter und riss ihn nach hinten. Er taumelte und wäre gestürzt, hätte ihm nicht die Rückenlehne eines schweren Ledersessels Halt geboten. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der würgende und keuchende Fotograf die Kamera umklammerte wie ein Ertrinkender den Rettungsring.
    «Hör auf, Alexander!», rief Utz Rasser, der ihn zurückgerissen hatte. «Was soll das?»
    «Ich will nicht, dass sie in die Zeitung kommt – nicht so.»
    Von Gunten, Parada und Tessari betraten den Raum und der Sicherheitschef erklärte: «Ich habe Signor Lafranchi kommen lassen. Die Tatortfotos sind nicht für den Osservatore bestimmt, sondern für unsere Akten. Sie werden dem Andenken an Ihre Tante keinen Abbruch tun, Adjutant Rosin.»
    Indem er ihn mit seinem militärischen Rang ansprach, erinnerte Parada Alexander daran, dass er der Schweizergarde angehörte. Und ein Gardist hatte Haltung zu bewahren, selbst in einer Situation wie dieser.
    «Wird die Polizei keinen Fotografen mitbringen?», fragte Alexander matt.
    Parada lächelte ihn kalt an. «Wir sind die Polizei.»
    «Ich meine die römische …»
    «Der Fall ist eindeutig», fiel von Gunten ihm ins Wort. «Es ist entschieden worden, dass eine Hinzuziehung der römischen Behörden nicht erforderlich ist.»
    Alexander bohrte seinen Blick in die grauen Augen seines Vorgesetzten. «Wer hat das entschieden?»
    «Kardinal Musolino – nachdem ihm die Sachlage geschildert wurde.»
    Musolino war als Kardinalstaatssekretär der zweitmächtigste Mann im Vatikan. Sein Wort war, wie das des Papstes selbst, Gesetz.
    «Der Kardinal ist also schon unterrichtet …» Alexanders Zorn war so gut wie verraucht, der Verstand gewann die Oberhand über die Gefühle. «Wann ist … das hier passiert?»
    «Gegen dreiundzwanzig Uhr vermutlich», antwortete Parada.
    «Ein paar Nachbarn der Rosins wollen zu dieser Zeit Schüsse gehört haben. Aber die Leichen wurden erst eine halbe Stunde später entdeckt, als Oberleutnant Schnyder mit seiner Frau nach Hause kam und sich über die offene Wohnungstür wunderte.»
    «Und die Schüsse?», entfuhr es Alexander.
    «Im Fernsehen lief ein Kriegsfilm. Auch der
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