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talon015

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Titel: talon015
Autoren: Jagdbeute
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Talon Nummer 15

    „Jagdbeute“

    von
    Thomas Knip

    Talon betrachtete sich den Kadaver der Antilope, der im halbhohen blassgelben Gras der Savanne lag. Er legte einen Finger auf das rötlich schimmernde Fleisch und verscheuchte dabei eine Vielzahl der Fliegen, die sich daraufhin mit einem nervösen Summen an einer anderen Stelle versammelten.
    Das Fleisch war noch warm. Es mochte keine halbe Stunde her sein, dass die Antilope den Tod gefunden hatte. Sie war keinem Raubtier zum Opfer gefallen. Zumindest keinem, das seinen Hunger stillen wollte. Fast unversehrt lag der schlanke Körper des Tieres vor ihm. Doch es war der ganzen Länge nach gehäutet worden. Das Fleisch hatte seinen Jäger nicht interessiert. Nur das Fell war mitgenommen worden. Und die Schädelplatte mit dem langen Geweih. Das Blut, das aus der offenen Stelle am Kopf geflossen war, hatte den Boden in einer großen Lache rings um den Kadaver dunkel gefärbt.
    Talon erhob sich aus seiner knienden Position und ließ seinen Blick schweifen. Die leicht gewellte Hügellandschaft stieg zum Osten hin an und verschwand im dichten Dunst, der den Himmel bedeckte.
    Vor zwei Tagen hatte er die Grenze zum Südsudan überschritten. Es war etwas mehr als eine Woche her, dass er von Shions Tempel aufgebrochen war und sich Richtung Osten gewandt hatte. Er wusste selbst nicht, wohin ihn sein Weg führte. Nachdem er dem schwarzen Löwen erklärt hatte, dass er dessen Nachfolge im Tempel nicht annehmen wollte, streifte er ziellos durch die Savanne. Sobald er den Dschungel verlassen hatte, atmete er innerlich auf und genoss die Freiheit, die ihm die karg bewachsene offene Landschaft bot. Die Intensität, mit der die Farben und Gerüche der Pflanzen und Bäume auf ihn eingeströmt waren, hatte ihm in all den Tagen, in denen er sich im Dschungel aufgehalten hatte, schier die Luft zum Atmen geraubt.
    Doch noch etwas anderes waberte fast greifbar in der Umgebung der uralten Tempelanlage, die tief verborgen zwischen den Baumriesen lag. Etwas hatte die Landschaft verändert, seitdem Eser Kru versucht hatte, die schwarze Kraft in den Tempelmauern freizusetzen. Der Magier, dessen zu Staub zerfallene Überreste vom Wind davon getragen worden waren, hatte die Zeit selbst angegriffen und die Vergangenheit in die Gegenwart gerissen.
    Talon verstand es selbst kaum. Eser Kru hatte einen Dutzende von Kilometern durchmessenden Kreis erschaffen, in dem die Zeit anders verlief. Er hatte es selbst feststellen können, als er durch einige der Dörfer gekommen war, die am Rand dieser Zone lagen. Jegliches technische Gerät, das an die Moderne erinnern konnte, fehlte. Und die Menschen bewegten sich schlafwandlerisch, als seien sie gefangen in einem Traum, der sie in eine andere Realität zwängte.
    All das, was geschehen war, seitdem er Shions Ruf gefolgt war, erschien ihm so unwirklich. Als sei er all die Zeit in einem wirren Traum gefangen gewesen, aus dem er nun langsam erwachte.
    Der durchdringende Geruch des verwesenden Körpers holte ihn endgültig zurück in die Realität. Die Antilope war nicht von jemandem erlegt worden, der auf der Suche nach Nahrung war. Das Tier hatte für die Sucht nach billigen Trophäen sein Leben lassen müssen. Talon wusste, dass er sich hier im südlichen Ausläufer eines Nationalparks befand, in dem Jagen untersagt war. Doch noch viel mehr erstaunte es ihn, dass jemand trotz des tobenden Bürgerkriegs die Muße fand, auf die Jagd zu gehen.
    Das Bellen eines Schusses durchschnitt die Stille der Savanne. Talons Kopf fuhr herum. Langsam verhallte das Echo des Knalls. Die tiefblauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er war nicht mehr als ein, zwei Kilometer vom Standpunkt des Schützen entfernt. Ohne wirklich zu wissen, was ihn antrieb, hastete er los. Mit weiten Schritten durchschnitt der muskulöse Körper das trockene Savannengras, das sich raschelnd hinter ihm schloss.
    Die Augen des hochgewachsenen, schlanken Mannes mit den rotbraunen Haaren visierten verschiedene Punkte in der Landschaft an und sondierten sie. Er suchte nach Anhaltspunkten, die ihm einen Aufschluss über die Position des Jägers gaben.
    Ein zweiter Schuss zerriss die träge Ruhe des Nachmittags. Erschrocken das drang leise Krächzen von Vögeln an Talons Ohren. Sein Blick suchte den Horizont ab und entdeckte mehrere dunkle Punkte, die nach oben davon stoben. Aufgeschreckt versammelte sich der Vogelschwarm hoch über dem Boden und kreiste abwartend über der Stelle, von der er
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