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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst
Autoren: Jorg Kastner
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Stube angeschaltet. Einer der schwarzen Kunststoffstrahler zeigte auf die geöffnete Tür; in seinem Licht stand die muskulöse Gestalt Utz Rassers, der stets wirkte, als wollte sein Brustkorb mit jedem Atemzug die Uniform sprengen. Jetzt, da er vom schnellen Laufen schnaufte und seine Brust sich heftig hob und senkte, schien der Stoff tatsächlich zum Zerreißen gespannt.
    Im ersten Augenblick dachte Alexander, sein Kamerad sei ebenso verschwitzt wie er. Dann erkannte er, dass die Feuchtigkeit nicht nur auf Rassers Gesicht glitzerte.
    Regentropfen bedeckten die dunklen Schnürschuhe und die dunkelblauen Wollstrümpfe, die blaugraue Hose, den schwarzen Umhang und das schwarze Barett, das beim Laufen unvorschriftsmäßig weit in den Nacken gerutscht war.
    Alexander erinnerte sich, dass Utz in dieser Nacht Wachhabender Korporal draußen an der Porta Sant’Anna war. Ein nicht gerade beliebter Job, wenn Petrus die Schleusen öffnete.
    Wenn Utz Wache hatte, durfte er nicht hier sein.
    Nachlässigkeiten im Dienst wurden vom Kommandanten der Schweizergarde unnachgiebig geahndet. Alexander begriff, dass etwas nicht stimmte, fuhr hoch und saß kerzengerade in seinem schmalen Bett. In Rassers breitem Gesicht zeigten sich Verstörung und Unsicherheit, Regungen, die Alexander bei so ziemlich jedem anderen Gardisten eher vermutet hätte als bei dem bodenständigen Bauernsohn aus dem Oberwallis.
    «Was ist los?», stammelte er.
    Die roten Leuchtziffern seines Radioweckers zeigten 00.22 Uhr an. In seinem Kopf überstürzten sich die aberwitzigsten Vorstellungen, angefangen bei einer Gasexplosion im Apostolischen Palast bis hin zu einem Terroranschlag auf den Vatikan.
    Utz keuchte: «Zieh dich an!»
    Noch halb benommen, sprang Alexander aus dem Bett und griff nach der Uniform, die er säuberlich auf dem einzigen Stuhl platziert hatte. Es war die blaugraue Alltagsuniform, wie auch sein Kamerad sie trug. Die bunte Medici-Tracht legten sie nur zu besonderen Wachdiensten an. Einen Augenblick überlegte er, ob er die verschwitzten Sachen, die er trug, Boxershorts und T-Shirt, wechseln sollte, doch die absolute Dringlichkeit in Rassers Blick sprach dagegen.
    «Probealarm?», fragte Alexander, während er in die Uniformhose stieg.
    Er glaubte selbst nicht daran. Gerade bei einem Alarm hätte Utz seinen Posten nicht verlassen dürfen. Der FvD, der Feldweibel vom Dienst, wäre durch die Flure gelaufen und hätte gelärmt wie die Posaunen von Jericho. Aber nichts dergleichen.
    In den übrigen Stuben der Kaserne herrschte Friedhofsruhe.

    «Nein, das nicht», antwortete Utz zögernd. Er wich Alexanders Blick aus, als fürchte er sich vor der Antwort.
    «Was dann, verdammt?» Alexander schlang den braunen Ledergürtel um das Wams und zog ihn fest.
    «Wirst schon sehen, Alex. Mach hin!»
    Alexander hatte sich kaum das Barett mit dem Rangabzeichen eines Adjutanten übergestülpt, da packte Utz ihn am Arm und zog ihn aus dem Zimmer. Er konnte nicht einmal mehr nach seinem Umhang greifen und das Licht löschen. Im Erdgeschoss stand der Feldweibel vom Dienst vor seinem kleinen verglasten Wachbüro und winkte die beiden, die mit jedem Schritt zwei Treppenstufen auf einmal nahmen, vorbei. Kurt Mäder war ein abgeklärter Städter aus einer der wenigen alten Katholiken-familien Berns. Umso beunruhigender fand Alexander seine ratlose Miene.
    Verwirrt registrierte er, dass Utz ihn nicht zum Vordereingang führte, wo das Sant’Anna-Tor lag. Er hatte vermutet, dass es an Rassers Posten zu einem Vorfall gekommen war, der seine Anwesenheit erforderte. Als er Utz auf den Innenhof der Kaserne folgte, fiel ihm auf, wie viele Fenster im gegenüberliegenden Gebäude mit den größeren Wohnungen der Offiziere und der verheirateten Unteroffiziere erleuchtet waren.
    Und dann glitt sein Blick auf den Apostolischen Palast, dessen hohe Mauern die der Gardekaserne weit überragten. In dem Bereich, in dem die Privatgemächer des Heiligen Vaters lagen, brannten ebenfalls ungewöhnlich viele Lichter.
    Utz hatte seine Verwunderung bemerkt und erklärte: «Die Vigilanza bringt den Papst zur Sicherheit in einen anderen Trakt.»
    Trotz des heftigen Regens, der auf sie herabprasselte, blieb Alexander mitten auf dem Hof stehen, legte den Kopf in den Nacken und starrte zur drei Stockwerke über ihnen liegenden Wohnung Seiner Heiligkeit hinauf.

    «In Sicherheit? Die Vigilanza?»
    «Auf dem Gelände des Vatikans sind Schüsse gefallen. Du weißt, dass die Sicherheitsvorschriften
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