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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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PROLOG

    Sie war mit einem Gefühl von Endgültigkeit in dieses Land gekommen, das sie erschreckte.
    Es hatte schon auf der Überfahrt begonnen; eine lange, quälende Woche voller Seekrankheit und Gestank, die sie eingepfercht wie ein Tier in einer winzigen, fensterlosen Kabine unter Deck der Lady of the Mist verbracht und dabei abwechselnd gegen die Übelkeit oder die Langeweile gekämpft hatte. In den kostbaren Stunden, in denen ihre Eingeweide nicht versucht hatten, durch ihre Speiseröhre nach oben zu kriechen, hatte sie entweder mit dem Schicksal gehadert, das sich einen so üblen Scherz mit ihr erlaubt hatte, oder den Kapitän dieses Seelenverkäufers verflucht, der von der ersten Sekunde an keinen Hehl daraus gemacht hatte, was er von seiner Passagierin hielt. Die exorbitante Summe, die sie ihm für die Überfahrt bezahlt hatte, hatte ihn nicht daran gehindert, ihr einen Verschlag zuzuweisen, in den sie zu Hause nicht einmal einen Hund eingesperrt hätte.
    Dabei war Kapitän Maistowe im Grunde kein schlechter Kerl, sondern ein eher gutmütiger Mensch, der seine Mannschaft gut behandelte und sogar einen gewissen Hang zur Großzügigkeit an den Tag legte. Er hatte – auch wenn er insgeheim und wahrscheinlich ohne es selbst zu wissen darunter litt – ein Problem mit ihrer Herkunft – und natürlich mit der Tatsache, dass sie eine Frau und obendrein nicht nur wohlhabend, sondern ihm auch in jeglicher Hinsicht überlegen war.
    Und das hatte er sie spüren lassen, umso mehr, da er nicht dumm war und sich seinen Teil dazu gedacht haben musste, dass sie die anstrengende Überfahrt auf seinem heruntergekommenen Kahn einer bequemen Reise auf einem Luxusdampfer vorgezogen hatte, die sie sich problemlos hätte leisten können.
    Aber nun war es vorbei. Vor wenigen Minuten erst hatte der Seelenverkäufer mit dem hochtrabenden Namen an der Kaimauer festgemacht, und Bast trat mit einem fast zeremoniell anmutenden Schritt von der schmierigen Planke herunter auf das kaum weniger glitschige Kopfsteinpflaster des Piers und sog die kühle Nachmittagsluft in die Lungen. Sie roch eigentlich nicht besonders gut – nach Salzwasser und totem Fisch, und auch noch nach ein paar anderen, sehr viel unangenehmeren Dingen –, aber es war trotzdem ein Labsal gegen den Gestank, in dem sie die zurückliegenden Tage verbracht hatte.
    Rings um sie herum bewegten sich Menschen, wurde gerufen und gearbeitet und gelaufen, rollten Fuhrwerke auf knarrenden, schlecht gefetteten Achsen vorbei und bellten Hunde, die sich um einen toten Fisch oder andere Abfälle balgten. Kinder spielten inmitten des Schmutzes, und in einiger Entfernung erscholl die keifende Stimme einer Frau in einer so schrillen, durchdringenden Tonlage, dass sie den versammelten Lärm mühelos zu übertönen schien. Und natürlich wurde sie selbst schon wieder angestarrt und weckte Neugier und deutlich mehr Aufmerksamkeit, als ihr lieb sein konnte.
    Aber sie war endlich an Land. Unter ihren Füßen befand sich fester Boden, kein schwankendes Deck, über ihr spannte sich ein wolkenloser, wenngleich leicht eingetrübter Himmel, und rings um sie herum war unendlich viel freier Raum, nicht mehr die morschen Bretterwände eines kaum drei mal drei Schritte messenden Gefängnisses, das zu allem Überfluss auch noch ständig hin und her schwankte.
    Bast hasste es, eingesperrt zu sein.
    Fast so sehr, wie zur See zu fahren.
    Außerdem war sie hungrig. So hungrig …
    Der schrille Schrei eines Vogels drang in ihre Gedanken und ließ sie erschrocken aufsehen. Ein Schatten huschte über den Himmel, und im gleichen Moment vernahm Bast erneut einen sonderbar hellen, durchdringenden Schrei, der nicht einmal im an- und abschwellenden Raunen und Murmeln der Menschenmenge unterging, was er eigentlich gemusst hätte, sondern sich irgendwie darunter hindurch mogelte und schon fast unangenehm schrill in ihren Ohren gellte.
    Überrascht hob Bast die Hand über das Gesicht, presste die Augen gegen die Sonne zusammen, die plötzlich nicht mehr annähernd so blass und kraftlos schien wie noch vor einem Moment, sondern ganz im Gegenteil geradezu schmerzhaft in ihre Augen stach, und erblickte einen schlanken, pfeilflügeligen Schatten, der gerade seine letzte Umkreisung eines der Masten des Schiffes beendet hatte und nun, rasend schnell und immer noch schneller werdend, mit angelegten Flügeln nicht nur auf die Menschenmenge am Pier hinabstieß, sondern, wie es schien, sogar unmittelbar auf sie. Erst im
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