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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst
Autoren: Jorg Kastner
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geisterhafter.
    «Was mich zu Ihnen führt, ist ein Geheimnis, größer als alles, was ich Ihnen je anvertraut habe», begann Rosin umständlich, noch nach den passenden Worten suchend. «Auch wenn Sie nicht mehr mein Beichtvater sind, muss ich doch um Ihr Schweigen bitten, nicht weniger als …»
    «Sie können sich auf mich verlassen, Bruder Heinrich, falls ich Sie noch so nennen darf. Aber ich habe dem Orden den Rücken gekehrt und weiß nicht, ob Sie mit Ihrem Anliegen zu dem Richtigen gekommen sind.»
    «Gerade deshalb habe ich Sie aufgesucht, Pater. Auch ich habe dem Orden den Rücken gekehrt. Er weiß es nur noch nicht –
    hoffe ich. Wenn er es aber erfährt, ist das hier außerhalb des Vatikans besser aufgehoben.» Rosin schob die Kassette über den kleinen Tisch; der Geistliche machte keine Anstalten, sie zu berühren. Rosin zog einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche und legte ihn auf die Kassette. «Über den Inhalt will ich Ihnen nichts sagen, Pater, aber ich muss Sie warnen.
    Falls Sie sich darauf einlassen, die Kassette für mich aufzuheben, kann das gefährlich werden.»
    Leicht befremdet, als sei ihm die ganze Sache unangenehm, starrte der Geistliche auf die Kassette. «Was soll ich mit dem Schlüssel?»
    «Wenn ich, aus welchen Gründen auch immer, nicht dazu komme, sie wieder an mich zu nehmen, müssen Sie entscheiden, was mit ihr geschieht. Wenn Sie meinen, Sie müssten den Inhalt kennen, benutzen Sie den Schlüssel.»
    Der Pater schüttelte den Kopf. «Ich will nicht wissen, was darin ist. Ich weiß ohnehin schon zu vieles, das meine Seele belastet. Damals, als ich die Geheimnisse des Ordens zu erfassen begann, habe ich einen Weg in die Kapelle gefunden.»
    «Die Kapelle?»
    «Die unterirdische Kapelle. Als ich sie sah, wusste ich, dass all die Gerüchte um den Sohn Gottes nicht bloß Gerüchte sind.
    Auch wenn ich nicht alles verstand – ich habe begriffen, dass der Orden einem finsteren Weg folgt. Ich habe den Anführer des Treffens an der Stimme erkannt.»
    Rosin zog die Brauen zusammen. «Wenn er das wüsste, wären Sie nicht mehr am Leben, Pater.»
    «Ich weiß. Vielleicht habe ich den Vatikan auch deshalb verlassen. Weil ich feige bin. Aber ich habe mir immer eingeredet, ich sei hier in die Berge gegangen, weil ich den Orden nicht länger unterstützen wollte.»
    «Ich bin erst in den letzten Tagen zur Einsicht gelangt. Leider sehr spät.»
    «Hat das mit dem neuen Pontifex zu tun?»
    Rosin nickte. «Ich will versuchen, ihm zur Macht über das Geheimnis der Kapelle zu verhelfen, aber wenn die, die wir unsere Brüder genannt haben, davon erfahren, kann niemand sagen, wie es ausgeht. Dann müssen andere sich bemühen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.» Er zeigte auf die Kassette. «Da drin findet sich ein Schlüssel zur Wahrheit.»
    Zweifelnd starrte der Pater auf den Kasten. «Was soll ich damit tun, falls …»
    «Ein Unglück geschieht?» Rosin zuckte mit den Schultern.
    «Fragen Sie Gott um Rat, den wahren Gott.»

    Der Geistliche sah ihn traurig an. «Das tue ich schon seit Jahren.»
    Rosin bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln. «Wir alle sind nur Menschen, Pater. Schwache Menschen. Aber gerade in der Menschlichkeit kann unsere Stärke liegen. Wollen Sie mir helfen?»
    «Ja.»
    Erleichtert stand Rosin auf und reichte ihm die Hand. «Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Falls nicht, dann hören Sie auf die Stimme Ihres Herzens, Pater. Es wird Gottes Stimme sein.»
    Als Rosins Wagen hinter den Bäumen der nächsten Biegung verschwand, stand der Geistliche vor der Kirche und starrte ihm nach. Seine dünnen Lippen formten tonlos Worte: «Spricht Gott überhaupt noch zu den Menschen?»

2
    Freitag, 1. Mai
    Das quälende Traumgesicht verschwand in einer grellen Explosion, und eine Flutwelle gleißenden Lichts riss Alexander aus dem unsteten Kosmos seines Unterbewusstseins. Eben noch hatte er neben dem Todgeweihten in der einmotorigen Cessna gesessen, den sicheren Tod vor Augen und doch unfähig, in den Lauf des Schicksals einzugreifen, jetzt lag er in seinen zerwühlten Laken, erschöpft und schweißgebadet wie in all jenen Nächten, in denen der Tod seine Träume beherrschte.
    Diesmal versank die Sonne der Zerstörung nicht hinter dem Horizont des Erwachens, wollte nicht mit den Trümmern der zerfetzten Einmotorigen verglühen.
    Doch zumindest ihre Blendkraft ließ nach, als sie die Konturen von Alexanders doppeltem Deckenstrahler annahm. Jemand hatte das Licht in seiner kleinen
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