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Odice

Odice

Titel: Odice
Autoren: Anais Goutier
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Kapitel 1
    1

    „Der Außerirdische im Raumanzug kommt dort hin, neben die masturbierende Geisha mit dem rosa Kaninchen.«
    Odice trat in die Mitte des Raumes, um die Arbeit der Mitarbeiter des Kunsttransportunternehmens zu überwachen. Mit kritischem Blick beobachtete sie, wie die beiden Männer die riesige Leinwand hochwuchteten und an dem dafür vorgesehenen Platz anbrachten. Odice verschränkte die Arme und legte einen Zeigefinger an ihr Kinn, während sie konzentriert die Augenbrauen zusammenzog. Die Männer schauten sie fragend an und warteten auf ihre nächsten Anweisungen. Einen Moment lang geschah nichts, dann schüttelte Odice langsam mit dem Kopf.
    »So geht das nicht. Noch fünf Zentimeter nach links«, murmelte sie.
    »Wie bitte?« Die Nachfrage des Transporteurs klang bereits ein bisschen gereizt.
    »Fünf Zentimeter nach links«, wiederholte Odice unbeeindruckt ebenso leise wie zuvor und unterstrich ihre Worte mit einer reduzierten Zeigegeste.
    Zur Antwort erhielt sie lediglich ein ergebenes Knurren, während die beiden Männer das riesige Gemälde zum vierten Mal von der Wand nahmen, nur um es fünf Zentimeter weiter links erneut anzubringen.
    Endlich zeigte sich Odice zufrieden und nickte zustimmend. Es war das letzte Gemälde des großformatigen Zyklus und die Erleichterung der beiden Transporteure war förmlich mit Händen zu greifen.
    »Ist die Galerie geschlossen?«
    Odice wirbelte herum. Allein die Stimme, die diese vier kleinen Worte ausgesprochen hatte, hätte genügt, um sie völlig durcheinanderzubringen. Doch der Anblick, der sich ihr bot, als sie sich umdrehte, übertraf sogar noch den akustischen Eindruck. Lässig gegen den Rahmen der Eingangstür gelehnt, stand Alain Delon. Natürlich war es nicht wirklich der Schauspieler, aber ohne Frage der attraktivste Mann, dem Odice jemals von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden hatte. Eisblaue Augen musterten sie eindringlich und ein wenig amüsiert, während sie versuchte, ihre just in diesem Moment verlorengegangene Sprache wiederzufinden. Der Mann mit den rabenschwarzen Haaren und den phänomenalen Augen wartete geduldig, doch die minimale Andeutung eines spöttischen Lächelns, das um seine perfekt geschwungenen Lippen spielte, verriet ihr, dass er genau wusste, wie er auf Frauen wirkte und, dass ihm nur allzu bewusst war, dass sein Auftritt seine Wirkung in Odice’ Fall nicht verfehlt hatte.
    »Ja, nein, ich meine – eigentlich schon.«
    Verdammt. Dieser Typ hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Sie lächelte entwaffnend und fand schnell zu ihrem sicheren Auftreten zurück.
    »Bitte entschuldigen Sie. Wir sind zwar mitten in der Hängung für die neue Ausstellung, die übrigens erst morgen Abend ihre Vernissage feiert, aber wenn Sie sich an der Unordnung nicht stören, kommen Sie doch bitte herein.«
    »Danke.« Nun verzog sich sein sinnlicher Mund zu einem unwiderstehlichen Lächeln.
    Als er dennoch keine Anstalten machte, den Galerieraum zu betreten, ging Odice auf ihn zu und streckte ihm entschlossen die Hand entgegen.
    »Ich bin Odice Aneau. Die Galeristin«, sagte sie und schenkte ihm ein verbindliches, geschäftsmäßiges Lächeln.
    »Das dachte ich mir.«
    Was sollte das denn bitte heißen? Seinen Namen jedenfalls wollte er ihr offenbar nicht verraten. Sein Händedruck war fest, zupackend, aber die zarte Haut und die perfekten Fingernägel verrieten, dass diese Hände noch niemals ernsthaft hatten arbeiten müssen. Sein Lächeln war jetzt so strahlend, dass Odice augenblicklich in seinen azurblauen Augen zu ertrinken drohte. Dennoch hielt er ihre Hand für ihren Geschmack einen Moment zu lange fest.
    »Sehen Sie sich ruhig um und bei Fragen wenden Sie sich an mich«, beschied ihn Odice daher knapp und wandte sich wieder den Transporteuren zu – natürlich ohne den attraktiven Fremden aus den Augen zu lassen.
    Er hatte sich vom Türrahmen gelöst und schlenderte jetzt durch die Galerie. Sein ganzes Auftreten war pure Provokation. Odice beobachtete unauffällig und doch wie gebannt seinen gleichermaßen kraftvollen wie geschmeidigen Gang, diese gekonnte Symbiose aus Lässigkeit und perfekter Haltung. Dieser Mann hatte ohne Frage Stil. Er trug ein schwarzes Prada-Hemd, dessen oberste Knöpfe nachlässig offen standen, zur dunkelblauen Armani-Jeans. Beides passte perfekt zu seinem leicht sonnengebräunten Teint. Er war nur etwa einen halben Kopf größer als Odice, aber die gemessene Kraft seiner Bewegungen und das eng
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