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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst
Autoren: Jorg Kastner
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leuchtenden Augen und den vollen Lippen vor sich, sah ihr Lächeln, ihre regelmäßigen Zähne, roch den Duft ihres Parfüms, spürte ihre Wärme. All das hatte der Tod mit einem Sensenhieb in den Schlund der Vergangenheit befördert. Der Schmerz wollte ihn fast zerreißen; immer wieder schrie er sein trotziges, aufgebrachtes «Nein!» in das Rauschen des Regens.
    Seine Fäuste hieben auf die Mauer ein, bis Schmerz zu Betäubung wurde. Ganz allmählich kehrten seine Gedanken in geordnete Bahnen zurück – und er erkannte, dass die ganze Geschichte keinen Sinn ergab. Nichts passte zusammen!
    Er lief in den Regen, wollte zurück zu den Toten, um Oberstleutnant von Gunten, Parada und Tessari seine Zweifel vorzutragen. Doch schon nach wenigen Schritten hielt er inne und blickte zu dem Kasernentrakt, in dem die Waffenkammer lag.
    Durch den Regenvorhang schimmerte ein schwaches, unstetes Licht. Es kam aus einem der Kellerfenster, die zur Waffenkammer gehörten. Es war gegen halb zwei Uhr morgens, regulär hatte dort um diese Zeit niemand etwas zu suchen. Alexander änderte seine Richtung und lief auf das tanzende Licht zu.
    Er wollte keine Zeit verlieren und alarmierte deshalb nicht den Feldweibel vom Dienst, als er das Kasernengebäude betrat. Eine kleine Treppe führte zum Untergeschoss. Hier brannte kein Licht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Das Leuchten, das er gesehen hatte, stammte unzweifelhaft von einer Taschenlampe.
    Wer auch immer sich in der Waffenkammer zu schaffen machte, er hatte etwas zu verbergen.
    Auf dem dunklen Gang setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Nur mit Mühe bezwang er seine Erregung. Dass Danegger seinen Onkel aus dienstlicher Frustration erschossen hatte, glaubte er nicht. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er Danegger für den Mörder halten sollte. Dass ausgerechnet in dieser Nacht ein Eindringling in der Waffenkammer zugange war, konnte kein Zufall sein.
    Die äußere Zugangstür war nur angelehnt, das Vorhängeschloss lag auf dem Boden. Alexander hob es auf und betastete es. Der Bügel war mit einem Bolzenschneider durchgetrennt worden. Am Türschloss war keine Beschädigung zu erkennen, aber das konnte an der Dunkelheit liegen. Von der Nachtbeleuchtung im Treppenhaus des Erdgeschosses drang kaum mehr als ein schwaches Glimmen bis nach hier unten. Er bückte sich und legte das Vorhängeschloss geräuschlos zurück auf den Boden.

    Langsam zog er die dicke Eisentür auf. Das Büro mit den Ausgabebüchern war dunkel. Undeutlich zeichneten sich die Umrisse des Schreibtisches und des Bücherregals ab. Der schwache papierene Kanzleigeruch kam gegen den schweren Dunst von Eisen und Waffenöl, der aus dem Magazin drang, kaum an. Langsam drehte Alexander den Kopf und ließ seinen Blick über die Silhouetten der Möbel gleiten, bis er sicher war, allein zu sein.
    Er durchschritt den kleinen Raum, zog die gläserne Durchgangstür zur eigentlichen Waffenkammer auf, starrte und lauschte in die Finsternis. Das unstete Licht war erloschen, und er hörte nur sein eigenes, zu schnelles Atmen. Doch er war nicht allein. Vielleicht sprachen archaische Sinne auf eine Gefahr an, die mit Augen und Ohren nicht wahrzunehmen war. Er spürte, dass sich noch jemand hier aufhielt. seine Nackenhaare stellten sich auf, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Seine linke Hand tastete an der Wand entlang, bis sie den Lichtschalter fand. Kurz verharrte sie auf dem glatten Kunststoff. Alexander atmete tief durch und drückte auf den Schalter. Die klobigen Lampen flammten auf und tauchten das Magazin in zähes Gelb.
    Lange Reihen altertümlicher Waffen und Rüstungen: zweihundert Jahre alte Gewehre mit aufgepflanzten Bajonetten, unglaublich lange Musketen und aus dem sechzehnten Jahrhundert stammende Granatwerfergewehre mit oberschenkel-dicken Läufen, Partisanen und Hellebarden, Bidenhänder und Säbel, Pickelhauben und Morillons und die schweren Harnische, die immer noch zur Grangala der Gardisten gehörten. Es sah aus wie der Fundus einer Filmgesellschaft, die sich auf Historien-schinken spezialisiert hatte. Die modernen Waffen und die dazugehörige Munition wurden in Panzerschränken verwahrt, die allesamt verschlossen waren.
    Und zwischen all den Schränken, Regalen, Truhen und Waffenständern gab es genug finstere Ecken, in denen sich jemand verbergen konnte.

    Langsam ging Alexander durch das Magazin. Ein Schatten löste sich aus dem Spalt zwischen zwei Panzerschränken und sprang ihn an.
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