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Der Engel Der Kurie

Titel: Der Engel Der Kurie
Autoren: Georg Brun
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sie mußte weinen; sie kauerte sich auf den Treppenabsatz, versteckte ihren Kopf in ihren Armen und schluchzte so heftig, daß sie nicht hörte, wie Marcina zurückkehrte.
    »Sie soll in den Borgo gegangen sein, zum Bischof von Rapolla, dessen Haus nahe dem Castel Sant' Angelo liegt. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
    Serena nickte, reichte der Pförtnerin die Hand zum Dank und schlüpfte in die Nacht hinaus. Was sollte sie jetzt tun? Zurück zu Apollonia und auf den neuen Tag warten? Das wäre gewiß vernünftig, zumal sie in der Nacht ohnehin nichts ausrichten konnte, doch Serena wußte auch, daß sie vor Unruhe kein Auge zutun würde. Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg zur Strada del Popolo, jener Straße, die Papst Leo X. vor einigen Jahren mit den Geldern der römischen Huren hatte pflastern lassen, die quer durch die Stadt zum Tiber führte; von da war es ein kurzes Stück zur Engelsbrücke und hinüber in den Borgo. Ihre Tante war richtig stolz darauf gewesen, daß die Dirnen mit der von Leo erhobenen tassa delle puttana das Pflaster für eine so wichtige Straße bezahlen konnten; wenn die Hurensteuer so viel einbrachte, mußte es den Dirnen prächtig gehen. Leider galt das nicht für ihre Tante, noch nicht. Aber wenn der Bischof von Rapolla Bibiana zu seiner Konkubine machte, würden die Dinge anders aussehen; insofern er gestattete, daß Giovanni und Serena mit in seinem Haushalt lebten.
    Die Neumondnacht war so dunkel, daß Serena unvermittelt an eine Brüstungsmauer stieß; sie stand vor dem Tiber und sah kaum die Hand vor den Augen, geschweige denn am anderen Ufer die Engelsburg. Der Nebel waberte über dem Fluß, doch am Himmel hatten sich die Wolken verzogen; matt schimmerten einige Sterne. Es war bitterkalt geworden. Serena schlang sich ihre Arme um den Oberkörper und begann zu laufen. Sie lief an der Brüstung entlang zur Brücke, hielt in jede Richtung Ausschau, ob jemand in der Nähe war, und hastete dann zum anderen Ufer hinüber. Brücken waren schmal und gefährlich, man mußte sie so schnell wie möglich hinter sich bringen. Serena kannte die Gefahren dieser gewalttätigen Stadt, in der seit dem Überfall der Colonna vor zwei Monaten niemand mehr sicher war. Im Borgo angekommen, eilte sie die Straße weiter und hinter der Engelsburg unter dem Passetto hindurch, jenem Gang, der den vatikanischen Palast mit der Engelsburg verband, nach rechts in eine schmale Gasse. Hier mußte irgendwo das Haus von Bischof Senili sein. Serena hielt Ausschau nach dem Wappen von Rapolla. Nach einiger Zeit fand sie kurz vor der Aurelianischen Mauer nahe der Porta Angelica, wonach sie gesucht hatte. Ein Lamm und ein Elefant in einem Sternenring bezeugten den Adel des Hauses; der Klopfer am mächtigen Holztor zeigte ebenso einen Elefanten, wahrscheinlich in Erinnerung an die Krönung von Papst Leo, dem der Bischof seine Pfründe verdankte.
    Serena nahm all ihren Mut zusammen und schlug den Klopfer gegen das Tor. Im Innern hörte man ein dumpfes Pochen, während das Klopfen in der schmalen Gasse angriffslustig widerhallte. Hoffentlich kommt jetzt niemand die Straße herauf, dachte Serena, dann vernahm sie schlurfende Schritte. Ein winziges Fenster in der Tür öffnete sich.
    »Wer ist da?« rief eine junge Männerstimme.
    »Ich suche meine Tante«, erwiderte Serena schüchtern.
    »Wer bist du?« fragte der Wächter erstaunt zurück und streckte seinen Kopf durch das schmale Fenster. Als er das feenhafte Mädchen sah, mußte er lächeln. »Heute hat mein Herr keinen Bedarf«, sagte er sanft, »heute ist die Hausdame da, Signora Gratiosa. Es wäre nicht gut, wenn sie von deinem Besuch erführe.«
    »Nein, ich bin keine Puttana, nur ein Mädchen, das seine Tante sucht. Allerdings ist sie ein Engel und soll gestern hier gewesen sein.«
    »Nicht so laut«, flüsterte der Jüngling und zog seinen Kopf zurück. Er schloß das Fenster und öffnete gleich darauf das Tor. »Komm herein, aber rasch«, sagte er und zerrte sie mit kräftiger Hand in den Eingang. »Was machst du mitten in der Nacht in der Stadt? Hast du keine Angst?«
    »Doch«, flüsterte Serena, »aber ich suche meine Tante. Sie soll gestern hier gewesen sein.«
    »Wie sieht deine Tante denn aus?«
    »Sie ist noch jung und sehr hübsch, beinahe wie ein Knabe, mit rotblondem, kurz geschnittenem Haar.«
    Der Jüngling überlegte kurz, ehe er nickte. »Ja, deine Tante war gestern hier, aber sie ist in den Morgenstunden gegangen. Ich habe ihr gesagt, sie
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