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Der siebte Kristall

Der siebte Kristall

Titel: Der siebte Kristall
Autoren: Horst Hoffmann
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1. Die Knospe
    Die Ruhe war mehr als trügerisch, doch viele nutzten sie, um einige Stunden Schlaf nachzuholen oder Dinge zu erledigen, die gezwungenermaßen hatten vernachlässigt werden müssen. Carlumen durchteilte die treibenden Staubmassen und glitt in der schweren Luft wie auf der Oberfläche eines Meeres durch die Schattenzone. Ab und an tauchten Hindernisse auf, oder es galt, einer Schule von Schattenwalen auszuweichen. Die Steuerung der Fliegenden Stadt bereitete den Magiekundigen kaum noch Schwierigkeiten, zumal Yhr in den sechs DRAGOMAE-Kristallen gefangen war, die Mythor bislang zusammengetragen hatte. Der Körper der Schlange wand sich durch viele Bereiche. Die Carlumer machten es sich zunutze. Sie zogen den Tillornischen Knoten mit Hilfe der Steine fester, sobald Yhr gegen die Gefangenschaft aufbegehrte, und befanden sich ansonsten auf einer Route, die Caeryll einst genommen hatte. Damals war ihm die Flamme von Logghard erschienen, was auf der Weltkarte eingetragen stand. Mythors und der Gefährten Hoffnung bestand darin, auf dem gleichen Kurs das Licht wiederzufinden, das ihnen den Weg nach Gorgan wies. Allerdings hatte es schon zu viele Enttäuschungen gegeben, und die Unzufriedenheit griff vor allem unter den Kriegern allmählich immer mehr um sich.
    Gerrek rührte das nicht. Er lag am Fuß der obersten Wehrmauer und döste so friedlich vor sich hin, als hätte er nie von der Pfaderregel gehört, die da sagte: »Hüte dich vor der Stille, denn in ihr reift das Verderben!«
    Was ihn als einziges störte, war Mythor, wenn er sich im Schlaf herumwälzte oder stöhnte. Der Sohn des Kometen lag neben ihm, die Hand am Griff seiner Klinge. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Das Abenteuer am Crusenriff, wo er den Darkon im Kampf besiegte und den sechsten Kristall eroberte, war nicht ohne Spuren an Mythor vorübergegangen.
    Der Mandaler blinzelte in das blutrote Wabern über Carlumen. Auch die vierhundert Rohnen hatten sich in ihre Behausungen zurückgezogen. Sie gewöhnten sich zwar allmählich an die Fliegende Stadt, doch nach wie vor machte ihnen die Schattenzone zu schaffen. Tertish als Kriegsherrin hielt mit Hukender, Mokkuf und den Wälsenkriegern an verschiedenen Stellen Carlumens Wache, während sich die Magiekundigen im widderkopfförmigen Bug befanden.
    Zumindest Fronja hätte bei Mythor sein sollen. Gerrek seufzte und warf dem Gorganer einen mitleidvollen Blick zu.
    »Sei froh, daß du wenigstens mich hast«, murmelte er. »Wenn auf das Weibervolk kein Verlaß mehr ist, müssen wir Männer zusammenhalten.«
    Er grinste über die Weisheit der eigenen Worte und dachte dabei an Kalisse und einige andere Amazonen, die ihm oft genug das Leben schwer gemacht hatten.
    Gerrek schlief ein und wurde erst wieder aus seiner Traumwelt gerissen, als er Mythor lauter denn je stöhnen hörte. Er lag auf der Seite und konnte ihn sehen, wie er sich aufbäumte und wand.
    Ein wenig Rücksicht sollte Mythor nun doch nehmen. Gerrek streckte den Arm schon aus, um ihm dies durch einen freundschaftlichen Stoß in die Seite zu verstehen zu geben, als das Unfaßliche geschah.
    Gerrek stieß einen spitzen Schrei aus, sprang auf und machte entsetzt zwei, drei Schritte von dem Gefährten fort. Er wischte sich über die Augen, doch der Spuk blieb. Mythor lag vollkommen still. Der Schatten schälte sich aus seinem Körper. Etwas unsagbar Dunkles schwebte für einige Herzschläge ganz dicht über Mythor, so als bildete es eine zweite Haut um ihn.
    Gerrek sah sich verzweifelt um, doch da war niemand, der ihm in diesem Augenblick beistehen könnte.
    Der Schatten wurde zur festen Gestalt. Es war so, als hätte Mythor einen dunklen Zwillingsbruder bekommen, der sich jetzt aus ihm erhob und für einen kurzen Moment über ihm stehenblieb. Gerrek schnürte die Angst die Kehle zu. Er starrte die schwarze Gestalt an und hatte das schreckliche Gefühl, sie starrte zurück. Dann ging sie davon und durch die Mauer hindurch.
    Mythor lag reglos noch an der gleichen Stelle. Gerreks Knie gaben nach. Endlich löste sich ein Schrei. Gerrek fuhr herum und rannte davon, als wäre der Schatten hinter ihm her. Sein Gekreische ließ die Rohnen aus den Unterkünften strömen und gleich wieder darin verschwinden, als sie den wild mit den Armen rudernden Beuteldrachen auf sich zukommen sahen. Gerrek stolperte und fiel hin, raffte sich auf und war vollkommen außer Puste, als er endlich die Kommandobrücke erreichte. Er holte tief Luft und versengte
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