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Glühende Lust

Glühende Lust

Titel: Glühende Lust
Autoren: Laura Simon
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1 . K APITEL
    Assyrische Männer lassen ihre Haare und Bärte wachsen, bis sie ihnen bis zur Leibesmitte reichen. Anschließend legen sie die Strähnen mit glühenden Eisen in Locken. Tiere hausen in den Mähnen, und schütteln die Männer ihre Köpfe, fallen Eidechsen, Käfer und anderes Getier heraus. Auch lassen sie ihre gesunden Zähne ziehen und durch solche aus Silber ersetzen, um den Feind in der Schlacht zu erschrecken.
    »Merit! Merit-Sobek! Hast du etwa wieder die Nase in irgendwelche dummen Schriftrollen gesteckt? Es ist Zeit für deine Übungen. Ich lasse den Stock auf deinem Rücken tanzen, wenn du dich nicht beeilst!«
    Merit-Sobek rollte mit den Augen, ohne von ihrem Papyrus aufzublicken. Es war viel zu warm; allein der Gedanke an Leibesübungen in der sommerlichen Nachmittagshitze trieb ihr den Schweiß aus den Poren. Sie zog ihr schattiges Zimmer vor, wo eine Sklavin mit dem Bastfächer eine sanfte Brise erzeugte. »Gleich, gleich«, murmelte sie, auch wenn sie genau wusste, dass die alte Dienerin sie draußen nicht hören konnte.
    Nachdenklich klopfte sie mit dem elfenbeinernen Griff ihres Fliegenwedels gegen ihr Kinn. Der Bericht über die assyrischen Krieger war beängstigend. Barbaren mit Tieren in den Haaren! Konnten solche Menschen den Zwei Ländern am Nil gefährlich werden? Sie trachteten danach, ihre schmutzigen Finger gen Ägyptenauszustrecken, hieß es auf den Straßen von Memphis. Aber der Pharao, der Lebende Gott Taharqa, würde sie unter seinem Fuß zerquetschen. Gut, er war ein Nubier, schwarz vom Schädel bis zu den Zehen – nichtsdestotrotz der Gott! Niemand durfte den Gott herausfordern. Niemand.
    Der Pharao war in zwei Schlachten unbesiegt geblieben. Aber die Feinde hatten zu einer dritten gerüstet.
    Merit betrachtete die hieratischen Schriftzeichen, den Bericht eines Reisenden aus der Zeit des assyrischen Königs Sargon, der Babylon bezwungen hatte. Ihr Gott Assur ist blutrünstig. Man opfert ihm die Frauen der Kriegsgegner, nie erlöschen die Feuer zu seinen Füßen. Frauen gelten nichts. Man hält sie wie Vieh und nutzt sie wie Vieh.
    Trotz der Hitze fröstelte Merit.
    »Merit!« Schnaufend steckte die alte Sitankh den Kopf in das Gemach. »Dein Bruder hat längst angefangen, und du sitzt hier über unnützen Papyri. Geh endlich!«
    »Ja doch, ja!« Merit ließ den Bogen fallen, der sich knirschend zusammenrollte, sprang auf und wollte nach draußen laufen, doch die Dienerin hielt sie zurück.
    »So geht die Tochter des Tajti Mentuhotep nicht an den Leuten vorbei«, sagte Sitankh streng. »Halt still.« Sie kämmte Merits knapp kinnlanges Haar, so schwarz wie der Nil bei Nacht, richtete das Stirnband mit der goldenen Lotosblüte und löste das rote Band unterhalb der Brüste. Dann ordnete sie das weiße Leinenkleid neu, so dass eine Brust frei blieb, legte das Band wieder um Merits Oberkörper und verknotete es. »Gestern erst wurde das Leinen gewaschen und plissiert, und heute ist es schon völlig verknittert.«
    »Weil es so heiß ist. Wäre der Sommer nur schon vorbei.«
    »Unsinn. Es ist Achet, die Zeit der Überschwemmung. Die Götter schicken den Nilschlamm über die Zwei Länder und machen sie fruchtbar. Eine Zeit des Segens, über die man nicht klagen darf.«
    Wie immer tat die alte Dienerin so, als gäbe es keine Bedrohung. In ihrer Zuversicht auf den richtigen Gang der Welt war sie ganz und gar ägyptisch.
    »So, jetzt kannst du wenigstens an den Leuten vorbeilaufen, ohne dass dein Vater sich schämen muss.« Sitankh kniff mit zwei ihrer knochigen Finger in Merits Brustwarze, um sie zu röten.
    »Au!« Merit schlug die Hand beiseite, fuhr herum und eilte die Treppe hinunter. Tatsächlich standen in der Halle mehrere Männer beisammen, darunter ihr Vater Mentuhotep, der Tajti, der Bewahrer der Geheimnisse des Herrn allen Lebens, der zweitmächtigste Mann Ägyptens. Er fiel unter den schlanken Männern mit seiner kleinen, wohlbeleibten Gestalt auf. Unterhalb der Achseln hatte er ein bodenlanges Leinengewand geschlungen, um seinen glattrasierten Kopf lag der Goldreif mit der Feder der Maat, der Göttin der Gerechtigkeit und Weltordnung. Flüchtig lächelte er Merit an. Die anderen verneigten sich, schienen aber sonst nicht sehr interessiert, in welchem Zustand die Tochter des Hauses sich blicken ließ. Die Männer schauten ernst drein. Ob es wegen der assyrischen Gefahr war? Aber der Vater hatte stets versichert, dass man sich derzeit noch keine Sorgen machen
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