Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Engel Der Kurie

Titel: Der Engel Der Kurie
Autoren: Georg Brun
Vom Netzwerk:
die alte Apollonia irgendwo zu treffen – doch vergeblich. Schließlich machte sie sich auf den Weg nach Hause, und da die Gassen inzwischen abgrundtief dunkel waren, rannte sie, so schnell sie konnte, und flüchtete sich vor den herumgeisternden Schatten, welche die vereinzelten Fackeln an die Mauern warfen, in das schmale Treppenhaus jener Mietskaserne, in der Apollonia mit ihren Huren zwei Stockwerke bewohnte. Der kleine Giovanni lag auf seiner Decke und schlief; von Bibiana war nichts zu sehen. Serena lief die Treppe hinunter und betrat die kleine Kammer neben dem Hauseingang, wo Apollonia abends meist saß, um ihre Mädchen zu überwachen.
    »Wo ist meine Tante?« fragte Serena außer Atem. Apollonia saß beim Schein einer Kerze und strickte.
    »Ich weiß nicht, mein Kind«, antwortete die Kupplerin mit schnarrender Stimme. »Sie sollte längst zurück sein.«
    »Wo hast du sie hingeschickt?«
    »Ich habe sie nicht geschickt; an eine Mezzana hab' ich sie ausgeliehen, weil jemand einen Engel suchte.«
    »Meine Tante ein Engel?«
    »Sogar ein sehr guter, Serena. Sie sieht aus wie ein Knabe und hat die Brüste der Venus. Zudem käme kein Mann auf die Idee, sie für älter als fünfzehn zu halten oder gar zu vermuten, daß sie bereits geboren hat.«
    »Aber wo genau ist Bibiana hingegangen?« bettelte Serena mit flehender Stimme.
    Apollonia schüttelte den Kopf: »Ich weiß es wirklich nicht, aber sie müßte längst hier sein. Hoffentlich ist ihr nichts geschehen. Ein gemeiner Nero geht in der Stadt umher.«
    »Was soll das heißen – ein gemeiner Nero?« fragte Serena angsterfüllt, aber statt einer Antwort erhielt sie mit herrischer Geste die Anweisung, die Kammer zu verlassen. Doch das Mädchen rührte sich nicht vom Fleck. Ihr Mund zitterte, und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden.
    »Bitte, Apollonia«, flehte sie, »sag mir, wo ich meine Tante finde.«
    Hinter Apollonias runzliger Stirn begann es zu arbeiten; sie kniff die Augen zusammen, und ihr Kinn zuckte so heftig, daß die krausen Haare, die dort beinahe wie bei einem Ziegenbock hervorwuchsen, zitterten. »Also gut«, knurrte die Kupplerin, »geh hinüber in die Via de Barbiere, zu dem schmalen Haus mit dem eisernen Klopfer und sage Marcina, das ist die Wächterin von Claudia, die dir öffnen wird, du müssest wissen, wohin Bibiana geschickt wurde. Laß dich nicht abwimmeln; sage Marcina, daß du nicht eher gehst, bis du eine Antwort bekommen hast. Verstanden?«
    Serena nickte. Bangen Herzens ging sie los.
    Stockfinster war die Nacht; lediglich an den Ecken von einer Gasse zur anderen flackerten noch einige Fackeln und zeichneten unheimliche Schatten an die Wände. Ratten und Mäuse huschten über die Pflastersteine und verschwanden in Ritzen und Mauerlöchern. Vom Campo de Fiori hallte der Gesang Betrunkener, von der anderen Seite schallte das Getrappel von Pferden. Serena erschrak, als ihr Fuß gegen etwas Weiches stieß, das schnaufend auffuhr. Ein Schwein hatte im Rinnstein geschlafen; nach kurzem Grunzen legte sich das Vieh auf den Boden zurück. Serena atmete auf und schlich weiter. Endlich gelangte sie zu der fraglichen Tür in der Via de Barbiere, packte den Klopfer und ließ ihn gegen das Holz fallen. Sie hörte Schritte, dann schwang die Tür knarrend einen Spaltbreit auf.
    »Was willst du?« knurrte eine unfreundliche Stimme.
    »Apollonia schickt mich. Ich soll nach dem Engel von gestern abend fragen und wohin er geschickt worden ist.«
    »Komm rein!« befahl die Wächterin, die Marcina hieß, und als Serena im Treppenhaus stand und die Tür geschlossen war, befahl sie barsch: »Warte hier.«
    Die Luft roch genauso modrig wie bei Apollonia. Das Treppenhaus, von einer Kerze matt beleuchtet, wirkte schäbig; in einer Ecke hing eine dicke Spinnwebe, darin lauerte eine fette Spinne. Serena wünschte sich zurück auf ihr Schlaflager in dem kleinen Zimmer bei Apollonia; die sanften Atemzüge Giovannis wollte sie hören und den warmen Rücken ihrer Tante spüren. Warum konnte ihr Leben nicht so friedlich verlaufen wie das der Patrizierkinder in Olevano? Sie sehnte sich nach Geborgenheit und vermißte Carla, ihre Mutter; sie hatte ihr Sicherheit vermittelt und hatte allen falschen Versprechungen der jungen Adligen zum Trotz ihr Leben im Haushalt der alten Contessa gemeistert; Carla hätte sich nicht zur Sklavin einer geldgierigen Kupplerin gemacht, nein, ihre Mutter hätte ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Serena konnte nicht anders,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher