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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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beginne jeden Moment und wer weiß was für Teufel kröchen aus dem Feuerschlund der Hölle herauf. Eine furchtbare Vorstellung, vor der er und die Seinen sich aber doch hoffentlich nicht so fürchten mussten wie die prunksüchtigen Sünder, die in Bolanden, Dannenfels, Wichweiler und besonders in Kirchheim oder sonst wo in der Welt draußen ihr gotteslästerliches Dasein führten.
    Trotzdem dachte auch Samuel Hochstettler nicht gern an das Jüngste Gericht, sondern lieber an die kleinen Säcke, prall gefüllt mit Kleesamen, die sich an seiner Scheunenwand fein ordentlich stapelten.
    Vor zwei Jahren hatte er zum ersten Mal seinen größten und ergiebigsten Acker, der ganz nah beim Hof lag und auf dem tatsächlich auch Weizen gedieh, nach der Ernte nicht wie üblich brach liegen lassen, sondern sich zeitig im Frühjahr gleich wieder hinter den Pflug gestellt, die Egge gezogen und dann Klee eingesät. Da, wo der Rhein ins Meer floss, waren die mennonitischen Bauern voll des Lobes über den Klee. Das hatte er sich bei einem Abendmahl, das er einmal mit der Bruchsaler Gemeinde gefeiert hatte, ausführlich von einem durchreisenden holländischen Glaubensbruder erzählen lassen.
    Samuel tätschelte im Gehen die Flanke seines Älbli. Die kleine, falbenfarbene Stute mit dem auf steinigen wie auf schlammigen Böden sicheren Tritt mochte er von seinen beiden Pferden am liebsten. Ihre Fohlen waren die anmutigsten, die man sich denken konnte. Ihr letztes, jetzt schon eine bald zweijährige Stute, würde er bald verkaufen müssen. Schon der Gedanke daran schmerzte ihn. Aber er musste Kleesamen kaufen. Auf dem Klee, da war er sich tief in seinem Herzen sicher, ruhte der Segen des Herrn. Was nichts daran änderte, dass Kleesamen unverschämt teuer war. Mit dem, was er diesen Sommer vom Hoffeld geschnitten hatte, würde er seine neun Kühe, den Ochsen und die drei Rinder besser über den bevorstehenden Winter bringen als in den Wintern davor. Außerdem hatte er diesen Sommer das Vieh erstmals nicht mehr draußen grasen, sondern im Stall stehen lassen. Auch wenn viele ihn dafür für verrückt erklärten. Aber es sparte viel Zeit. Außerdem mussten die Frau und die Mägde zum Melken nicht in aller Herrgottsfrüh weit laufen, sich die Kühe zusammensuchen und die Milch zurückschleppen. Vor allem bekam die Ruhe, das bemerkten er und alle auf dem Hof schon nach wenigen Wochen, dem Vieh. Die Kühe gaben mehr Milch und setzten deutlich mehr Fleisch an. Das wollte er jetzt immer so machen. Auf den Höfen der Essinger Täufer, so hatte er gehört, trieb man schon seit ein paar Jahren kein Vieh mehr auf die Brachfelder oder gar in den Wald.
    Abrupt blieb er stehen, sodass Uri und die Pferde aus ihrem Trott kamen. Samuel zupfte an seinem braunen Bart, dehnte den Rücken und schmeckte bedächtig die Herbstluft. Scharf wie gerade gesiedete Seife stieg sie ihm in die Nase. Dann aber, als er sie im Mund behielt und langsam auf der Zunge zergehen ließ und dabei die Augen schloss, roch sie eher wie frisch geschlagenes Holz.
    Älblis Zunge kam an seine Faust und schleckte warm, zuerst schleimig und dann rau. Für einen langen Atemzug erinnerte ihn der Geruch an den Hals seiner Frau, als sie beide achtzehn gewesen waren und ein knappes Jahr nach der Taufe geheiratet hatten. Johanna kam aus den Vogesen. Es gab damals nicht viele heiratsfähige Mädchen unter den Täufern, deren Großväter Jakob Ammann gefolgt und strenger als die anderen geworden waren und in deren Familien die Kleidung nur mit Haken und Ösen geschlossen und Meidung und Bann so angewandt wurden, wie es sich gehörte, um die Gemeinde rein zu halten. Als junger Mann musste man sich umtun und manchmal weit reisen, um eine Frau zu finden.
    Johanna hatte gerade den Tisch gedeckt, als er auf dem Willenbacherhof angekommen war. Mit langsamen Bewegungen und Schritten, sodass, wenn sie Teller und Becher hinstellte, kein Klirren und nicht einmal ein Schieben zu hören war. An Johanna gab es nichts Heftiges oder Hastiges. Deshalb gefiel sie ihm. Auch wenn ihre Nase wie ein gespannter Entenflügel aus ihrem Gesicht ragte. Sodass man den kleinen Mund darunter kaum noch sah. Er beobachtete sie den ganzen Nachmittag, wie sie still und zurückhaltend auf den langen Bänken der Frauen saß. Wenn sie dann aber etwas sagte, war es wohlüberlegt. Dass Johanna darüber hinaus nicht ängstlich war, hatte er schon in der Hochzeitsnacht gemerkt.
    Samuel ließ sich Zeit, die Luft und seine Erinnerungen
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