Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
auszukosten. Zwanzig Jahre war das jetzt her, in denen Johanna ihre Ruhe und Unerschütterlichkeit bewahrt, aber nur ein Kind zur Welt gebracht hatte. Er hasste es, wenn ihn dieser Gedanke wie ein tollwütiger Hund ansprang.
    Samuel spuckte gegen den Wind, drückte sich den breitkrempigen schwarzen Hut mit beiden Händen fester auf den Kopf, grunzte etwas Unverständliches, zog Älbli am Halfter und stapfte weiter. Uri blickte ihn argwöhnisch von der Seite an. Sein Bauer redete nie viel, doch seine Gemütsverfassung ließ sich meist aus seinem Schweigen heraushören.
    Samuel brütete inzwischen über Onan, der im Gegensatz zu ihm nicht seinen Pflichten im göttlichen Plan nachgekommen war. Nein, so wie Onan, welcher Tamar, der Frau seines verstorbenen Bruders, nicht den Samen für ein Kind gegönnt und ihn stattdessen auf den Boden hatte tropfen lassen, benahm er sich weiß Gott nicht. Gott hatte Onan immerhin für sein Hintertreiben getötet. Ich, so sagte sich Samuel, ich beackere die Erde meiner Ehe mit Fleiß. Wahrscheinlich schlief er häufiger mit Johanna, als das nach so vielen Ehejahren üblich war. Während aber auf den Höfen der anderen meist sechs, oft auch acht oder mehr Kinder hüpften und lachten, hatte seine Sarah alleine aufwachsen müssen. Grollte ihm Gott, war der Allmächtige mit ihm unzufrieden? Wenn ja, aus welchem Grund? Er lebte, davon war Samuel überzeugt, wie ein aufrichtiger Christenmensch nur leben konnte.
    Allerdings hatte Johanna vor ein paar Tagen, als sie gerade zwei Eimer voller frisch gemolkener Milch vom Stall in den Gewölbekeller getragen hatte, so eine Andeutung gemacht. Die schweren Milcheimer müsse in Zukunft besser jemand anders tragen. Etwas verdreht und unsinnig hatte sie geklungen, eher so, wie andere Frauen daherredeten und es nicht ihre Art war. Samuel nahm sich vor, nicht wie schon ein paar Mal in den vergangenen Jahren zu hoffen, was sich dann aber jedes Mal als vergeblich herausgestellt hatte.
    »Wir sind da!«
    Samuel schreckte aus seinen Gedanken hoch. Uri hielt den Braunen kurz. Älbli schnaubte und blieb ebenfalls stehen.
    »Gut. Zieh die Gurte richtig an, prüf die Schnallen.«
    Hochstettler drehte sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren, öffnete seinen Hosenlatz und urinierte gemächlich. Er war erleichtert, dass Uri ihn aus seinen unguten Überlegungen gerissen hatte. An Gottes Handlungen zu zweifeln war nicht gut, seine Gerechtigkeit anzuzweifeln noch schlimmer. Abgesehen davon, dass es zu nichts führte. Wenn er keine Kinder mehr haben sollte, dann war es eben so.
    Ein warmer Westwind hatte den Dunst inzwischen in feine Streifen geschnitten und fegte sie über den Himmel. Ein Zeichen dafür, dass das gute Wetter halten würde. Diese Feststellung munterte Samuel auf. Die Sonne tat das Übrige und presste die Wolken so lange, bis sie durchsichtig wurden. Das Außenfeld wartete lang und schmal. Es zog sich vom morastigen Schilf des Weihers einen Buckel hinauf, wo mittendrin die uralte Eiche stand, deren größter Ast vom Blitz getroffen und abgebrochen war, bis dorthin, wo der Pelz des Donnersbergs mit seinen Buchen und Eichen ansetzte. Dort hinein trieb der andere Pächter des Freiherrn von Geispitzheim im Sommer und Herbst seine Schweine, aber auch seine Kühe und Rinder, bis sie alles in ihrer Reichweite kahl gefressen hatten. Samuel hielt das nicht nur für lasterhaft verschwenderisch, sondern für schlichtweg dumm.
    Die Felder, die an seines angrenzten, waren allesamt Brachen. Disteln, silberhaariges oder fleischiges Unkraut würden, das konnte man sich ausrechnen, bald über sie herfallen. Ein Rechen mit angebrochenem Stiel, der ihm nicht gehörte, lag schon jetzt achtlos fortgeworfen mittendrin. Samuel hob ihn auf, prüfte, ob die Zinken noch fest und griffig waren, und beschloss, ihn mitzunehmen. Weit und breit sah er keinen Menschen, keinen Ochsen oder Pferd, die einen Pflug zogen.
    Hatte so die große Wildnis ausgesehen, die sein Großvater rund um den Muckentalerhof vorgefunden hatte? Als kaum mehr Menschen dort lebten und die Ödnis bis an die Städte reichte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Erbfolgekrieg, bei dem die Franzosen alles Land verwüstet hatten, ließ der pfälzische Kurfürst deshalb auch Täufer in sein Land. Obwohl sie anderswo als gefährliche Sektierer und Aufwiegler gegen Kirche und Staat galten und ins Gefängnis gesteckt wurden. Der Kurfürst duldete sie. Weil er fleißige und geschickte Bauern brauchte, um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher