Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
neue Elektrisiermaschine, die Johann Heinrich Winkler, Professor für Philosophie, Latein und Griechisch, entworfen und sich von dem Drechsler Gießing hat bauen lassen. Nur ein ausgewählter Kreis, dem ich angehöre, konnte bislang sehen, wie sie funktioniert.«
    Manteuffel schwitzte stärker, Charlotte rückte ihm noch einen Fingerbreit entgegen.
    »Wie funktioniert sie denn, die Maschine? Reden Sie doch!«
    Manteuffel keuchte.
    »Sie funktioniert gewaltig, kann ich Ihnen sagen. Die Elektrizität schießt förmlich durch …«
    Manteuffels Blick schwankte jetzt zwischen Charlottes saugenden Augen und ihrem kleinen, apart zur Schau gestellten Dekolleté. Charlotte sagte für eine Weile nichts, hypnotisierte ihn aber weiter. Das gerade Gehörte arbeitete in ihr und verknotete sich langsam, aber gründlich mit dem, was sie am frühen Morgen mit ihrem Drachen auf dem Berg erlebt und beobachtet hatte. Elektrizität konnte, so sah es aus, sowohl bei Gewitter aus dem Himmel abgezapft als auch von bestimmten Maschinen produziert und aus denen dann herausgeholt werden. Charlotte zuckte kaum merklich zusammen, als ihr die ganze Tragweite dieser Kombination klar wurde. Auch die komplizierteste und scheueste aller Naturgewalten konnte also benutzt werden. Ihr Mund fühlte sich trocken an und spannte an den Rändern. Was für ein Tag! Charlotte seufzte und hatte das Gefühl, lange und weit abwesend gewesen zu sein. Doch der sächsische Graf starrte sie nach wie vor an, der Wein rieselte gleichmäßig aus dem Mund des Fauns, die Musik, die Stimmen, die tänzelnden und schiebenden Schritte wogten um sie herum, ohne aus dem Takt gekommen zu sein.
    Sie bemerkte ihr halbvolles Glas in der Hand, aus dem gerade der Graf getrunken hatte, und leerte es wie in Trance in einem Zug. Ihre linke Hand befand sich urplötzlich und eigentlich ohne ihr Zutun zwischen den Beinen des sächsischen Gastes. Er stöhnte auf. Was sich in ihren Ohren mit dem sanften Glucksen des Weinstrahls vermischte. Die Stelle, die sie berührte, löste endgültig seine Sprechhemmung.
    Eine halbe Stunde später war alles abgemacht. Der Tischler, den Professor Winkler von der Universität Leipzig beauftragt hatte, war derzeit ausgebucht. Auch die preußische Akademie der Wissenschaften hatte schon eine Bestellung aufgegeben. Und sogar diverse Großfürsten in Sankt Petersburg, die kürzlich noch in Kaftanen herumgelaufen und mit bloßen Händen Bären gewürgt hatten, wollten jetzt Elektrisiermaschinen haben, am besten gleich drei auf einmal. Ohne zu Stocken raunte Manteuffel alles in ihr Ohr. Dabei berührte er es mit seiner Zunge. Also angenommen, eine Maschine wäre mit etwas Glück und seinem energischen Zureden bis Weihnachten fertig, dann ließe sich aber kaum reisen, die Straßen durch die Pfalz waren ja bekanntlich in einem erbärmlichen Zustand. Nicht nur bei solch einem Schweinewetter wie heute, sondern andauernd. Charlotte nickte, da hatte der Mann recht, und drehte ihr Ohr etwas zur Seite. Also April, da wäre er zuversichtlich. Im April könnte er sie ihr bringen. Oder vielleicht doch besser erst Anfang Mai. Manteuffel kam wieder ins Zaudern, seine Zunge erlahmte und blieb hinter seinen Zähnen. Aber Charlotte strahlte ihn siegessicher an. Was machte bloß wieder ihre linke Hand?
    »Aber ich brauche natürlich eine Anzahlung«, sagte Manteuffel schließlich matt, und Charlotte fiel zum ersten Mal auf, dass er nicht nur spindeldünne Waden hatte, sondern auch ein Kinn, das keines war. Einen Scherenschnitt von ihm würde jeder für eine Karikatur halten.
    »Eine Anzahlung?«
    »Eine Anzahlung, Fräulein von Geispitzheim. Das ist bei jedem Geschäft so.«
    Seine Hechtaugen glänzten.
    Felix, das hochbegabte Kind, das ein Dorfpfarrer dem gerade eben vom Grafen- in den Fürstenstand erhobenen Carl August von Nassau-Weilburg ans Herz gelegt hatte und das deshalb auf dessen Kosten Jura, Theologie und Philosophie, später auch noch Mathematik hatte studieren dürfen und danach als Privatsekretär und Nachschlagelexikon Verwendung fand, riss Stunden später das Fenster seiner Dachkammer auf und schleuderte den vierten Band von John Lockes »Essay on Human Understanding« in die frische Regennacht hinaus. Laut und betrunken rief er hinterher:
    »Menschenrechte gelten nicht für Frauen! Nie und nimmer.«
    Sich selbst warf Felix auf sein schmales Bett. Er weinte vor Wut und Selbstmitleid. Das Buch war das einzige Exemplar im Schloss gewesen und noch dazu sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher