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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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war, hatte Samuel gleich bemerkt, als sie den Hof verließen. Der Junge stolperte noch mehr als sonst. Da war einerseits der Klee, der ihm nicht geheuer war, und dann, das wusste Samuel nur zu gut, machten den jungen Kerl die Flüchtlinge nervös, die für heute Abend oder Nacht auf dem Hof erwartet wurden. Eigentlich sollte er mit Uri darüber reden, ihn beruhigen und ihm alles erklären. Aber Samuel traute dem Frieden nicht. Seine Augen suchten misstrauisch das Schilfdickicht um den Weiher und den Saum des Waldes ab. Die Spione der Ungläubigen konnten in Gräben liegen oder zwischen den Büschen hocken, man musste immer auf der Hut sein. Eine Krähe, die in der schwarzen Brache unsichtbar gewesen war, flatterte hoch und schrie böse und kratzig in die Stille hinein.
    Die Welt draußen konnte einem letztlich gestohlen bleiben, wenn man stark war und sich nicht in Versuchung führen oder einschüchtern ließ. Uri aber war schwach, da biss die Maus keinen Faden ab. Samuel Hochstettler seufzte. Schwäche im Herzen bot bekanntermaßen dem Teufel einen Schlupfwinkel. Trotzdem redete er mit dem Jungen erstmal nur über den Klee.
    »Diesen Papisten, die noch immer der großen Hure Babel nachlaufen, und den lutherischen Sündern ist doch eh alles verdächtig, was wir tun. Klee hin oder her. Sie werden immer etwas an uns finden. Wir gehen trotzdem weiter, immer unserem Herrn Heiland nach, den hat man schließlich auch verspottet und gekreuzigt.«
    Uri senkte den Kopf, nicht weniger unsicher und verwirrt als zuvor. Samuel zog mit seinem Stiefelabsatz die krumme Furche so gut es ging gerade, so sorgfältig, dass Uri sich noch mehr schämte, dann ließ er die Peitsche knallen und drückte sich mit ganzer Kraft gegen den Pflug, und sie stapften zusammen weiter.
    »Außerdem weiß der Herr von Geispitzheim schon, was er an uns hat«, brummte Samuel nach einer Weile, ohne seinen Kopf von den breiten, rhythmisch schwankenden Hinterteilen der Pferde abzuwenden, »aber du musst aufpassen, dass du nicht den geraden Weg aus den Augen verlierst.«
    Nach einer Weile wandte sich Samuel erneut Uri zu und nickte aufmunternd, dabei schwang er, obwohl die Pferde zügig gingen, die Peitsche, dass die Luft surrte. Prompt stolperte Uri wieder. Sein Gesicht flammte in Sekunden so rot auf, dass die blonden Flusen an seinem Kinn, die zu seinem Kummer immer noch kein richtiger Bart werden wollten, noch kümmerlicher aufleuchteten. Er verstand sofort, dass sein Bauer sowohl die Ackerfurche meinte, die sie gerade zogen, als auch den schmalen Weg, von dem Matthäus sagte, dass er zum Leben führt und es ihrer wenige sind, die ihn finden. Uri hoffte inständig, auf diesem schmalen Weg ins Himmelreich zu gelangen. Deshalb hatte er sich im vergangenen Jahr taufen lassen. Wie sich auch sein Vater, seine Mutter, deren Eltern und Großeltern mit sechzehn oder siebzehn hatten taufen lassen. Sein Urgroßvater war zusammen mit Isaak Hochstettler, dem Großvater Samuels, aus dem Elsass geflohen und davor aus dem Schweizer Emmental. Uri hatte das breiteste Kreuz von allen jungen Burschen und stämmige Waden. Er war, damit tröstete er sich oft, kräftiger als sein Bauer. Wenn der Stier zur Kuh geführt wurde und seinen Sprung machen sollte, dann durfte er sich den Strick, der durch den Nasenring ging, um das Handgelenk wickeln. Denn er konnte wie kein anderer die gespreizten Beine in den Boden rammen und den Stier zügeln, damit die Kuh nicht verletzt wurde.
    Ansonsten fürchtete Uri sich unentwegt. Vor den Soldaten des Kurfürsten, die ab und an über die Landstraßen zogen. Davor, dass sie ihn holten und vierteilten, ertränkten oder zumindest auf eine Galeere schickten, wie sie es früher in Bern und Zürich mit Täufern gemacht hatten. Oder dass es nicht für die drei Gulden reichte, um sich jedes Jahr von der Landmiliz freizukaufen, und er dann doch noch Soldat werden musste. Dann war da noch der Älteste der Gemeinde, dessen Blick ihn oft im Schlaf verfolgte, vorwurfsvoll, lauernd. Irgendwann würde der ihn noch drankriegen. Der Weg war eben sehr schmal und man konnte leicht abkommen. Dann würde die Meidung über ihn ausgesprochen und er würde behandelt werden wie ein Aussätziger.
    In letzter Zeit aber fürchtete Uri sich vor allem vor dem Fräulein, das oben auf dem Gut wohnte. Er hatte in diesem Sommer gesehen, wie sie in einem hellen Kleid und mit unzüchtig offenen Haarsträhnen über die Wiesen gewandert war. Mitten am Tag hatte sie sich zwischen
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