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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz
Autoren: David Ignatius
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Standpunkt gegenüber den Vereinten Nationen zu erarbeiten. Er sei jedoch überzeugt, absolut überzeugt sogar, dass die Vereinigten Staaten sich der soeben von ihm verkündeten Strategie anschließen würden.
     
    Harry Pappas traf wenige Stunden vor der Ansprache des Premierministers in Heathrow ein. Er musste sich noch einer letzten, lästigen Aufgabe entledigen, freute sich aber auch irgendwie darauf. Normalerweise hatte er für Symmetrie nicht viel übrig. Die meisten Kreise im Leben ließen sich niemals schließen, und das hatte seine Gründe: Eigentlich waren es nämlich gar keine Kreise, sondern lauter lose Enden, die sich nur scheinbar zusammenfügten. Doch in diesem ganz speziellen Fall gab es einen Kreis, der sich schließen ließ und dann ein Ende finden würde.
    Harry leistete sich nach der Ankunft ein Hotelzimmer in London. Er verschlief den ganzen Vormittag, ließ aber für alle Fälle den Fernseher laufen und wurde schließlich von der Stimme des Premierministers geweckt. Nach der Ansprache döste er noch ein paar Stunden weiter. Er wollte ausgeruhtzu seinem Treffen kommen. Er war zwar im Begriff, sich auf ein Spiel einzulassen, in dem er selbst viele gute Karten hatte und auch in etwa wusste, wie das Blatt des Gegners aussah, doch ein zufriedenstellendes Ergebnis würde mindestens ebenso sehr von seinem Verhalten abhängen wie von den inhaltlichen Dingen, die er zu sagen hatte.
     
    Am späten Nachmittag stand Harry schließlich vor Kamal Atwans Stadthaus in der Mount Street. Es war ein windiger Novembertag. Abfallreste wehten durch die Straßen und Gassen, und oben am Himmel zogen tiefhängende, regenschwere Wolken vorbei. Der Butler erklärte ihm steif, Mr.   Atwan sei nicht im Hause, doch Harry vermutete, dass er das allen unangekündigten Besuchern sagte. Er wiederholte also nur seinen Namen, Harry Pappas, und bat, dem Hausherrn auszurichten, dass er direkt aus Washington komme und Mr.   Atwan dringend sprechen müsse, und zwar unverzüglich, denn es handele sich um eine Sache von großer Wichtigkeit. Der Butler verschwand nach oben und kehrte kurz darauf mit der Mitteilung zurück, Mr.   Atwan sei bereits wieder da und werde seinen Gast umgehend empfangen.
    Diesmal beeindruckten die Kunstwerke an den Wänden Harry deutlich weniger. Er sah darin nur lauter Beutestücke aus dem Besitz von Menschen, die sich im Vergleich mit dem Hausherrn als weniger gerissen oder diebisch erwiesen hatten. Womöglich waren die Gemälde ja nicht einmal echt. Dieser strahlende Monet mit den Seerosen, der die Diele dominierte – wer konnte schon sagen, ob er ein echtes Meisterwerk war oder eine meisterhafte Fälschung oder auch etwasdazwischen, ein authentisches Objekt, das seinem ursprünglichen Besitzer entwendet worden war und nun dem persönlichen Vergnügen des Libanesen diente? «Provenienz», so lautete das Wort, mit dem Kunsthändler die heikle Problematik einer solchen Sammlung bezeichneten. Woher sollte man wissen, woher ein Gemälde stammte, was an seiner angeblichen Herkunftsgeschichte echt und was erfunden war? Gerade darin bestand ja auch Kamal Atwans Arbeit: Er verwischte alle Herkunftslinien so gekonnt, dass niemand mehr sicher sein konnte, ob das, was man erhielt, nun echt oder falsch war.
    Atwan erwartete ihn oben an der Treppe. Er trug eine neue, zweireihige Hausjacke mit breiten schwarzen Samtaufschlägen und einem dezenten Paisleymuster. Sein langes, silbrig graues Haar war makellos frisiert, und er sah aus wie ein Dandy aus edwardianischer Zeit, ein feiner Herr aus einer anderen Epoche.
    «Wie schön, dass Sie mich besuchen, mein Lieber», sagte er und griff nach Harrys Hand, sobald der an der obersten Stufe war. «Haben Sie die Rede des Premierministers gehört? Geradezu verwegen, finden Sie nicht auch? Das dürfte jede andere Handlungsweise unmöglich machen.»
    «Keine schlechte Rede», sagte Harry. «Und ein Krieg mit dem Iran ist ja auch wirklich keine gute Idee.»
    «Ihre amerikanischen Freunde werden sich vermutlich sehr darüber ärgern.»
    «Da kommen sie schon drüber weg», sagte Harry.
     
    Atwan führte Harry in die Bibliothek, ohne seine Hand loszulassen, und ließ ihn gleich neben einem Gasofen Platz nehmen. Auf einem Tischchen zwischen zwei behaglich aussehenden Sesseln lag ein weiteres dickes Buch von Anthony Trollope. Es trug den Titel «
Er sollte recht behalten»
.
    «Ich hatte bereits mit Ihrem Besuch gerechnet, mein lieber Harry. Ich war in großer Sorge um
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