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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
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1. Kapitel
    Das war absolut nichts Besonderes, geschweige denn irgendetwas ganz Ausgefallenes. Gegen elf Uhr klingelte Horstmanns Telefon, ein Mädchen sagte: »Doktor Horstmann! In einer halben Stunde beim Chef.«
    »Gut«, sagte Horstmann.
    Es war wirklich nichts Besonderes. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, seine Leistungen waren gleichbleibend überdurchschnittlich, und niemand würde beim Chef gegen ihn sprechen. Das war ziemlich sicher, denn er verhielt sich zu allen Leuten so, wie man es einfach mit »nett und bescheiden« beschreibt. Er war ein großer, dunkelhaariger Mann, der niemals in Intrigen verwickelt war, und von dem alle Welt glaubte, er könne nur in chemischen Formeln denken.
    Er hockte sich zwischen zwei Tische, auf denen die für die Chemie so seltsam geformten Glasbehälter standen, und rauchte eine Zigarette mit sehr schwarzem Tabak. Er musste sofort husten.
    Trotzdem rauchte er diese Zigaretten. Er erinnerte sich matt daran, dass ein ihm bekannter Professor einmal gesagt hatte: »Es ist ganz typisch für bestimmte Linksintellektuelle, dass sie zwar gelegentlich Haschisch probieren, meist aber schwarze französische Zigaretten rauchen. Sie lassen sich diese Zigaretten ›aufdrücken‹, wie eine besondere Sorte ergiebiges Mastschwein einen Gütestempel auf den Hintern gedrückt bekommt.« Damals hatte Horstmann gelacht, aber gleichzeitig begonnen, seine Umwelt zu beobachten. Er hatte festgestellt, dass der Professor bei einer ganz bestimmten Gruppe im Betrieb sicherlich Recht hatte. Der Chef rauchte auch schwarze französische Zigaretten.
    Ich müsste dringend eine Gehaltserhöhung haben, dachte er mechanisch, oder viel Geld auf einmal. Maria wird natürlich sagen, dass wir mehr Geld nicht brauchen, aber sie weiß nicht, wie sehr ich Bequemlichkeit liebe. Ich will meinen Rasenmäher nicht mehr schwitzend vor mir herschieben wie ein Kuli. Ich will, dass er kraft elektrischen Stromes leise surrend das Gras im Garten frisst. Dann will ich einen größeren Wagen haben und gelegentlich allein nach Wiesbaden fahren, um ein Spiel zu machen. Nicht hoch, aber auch nicht zu zaghaft.
    Auf jeden Fall werde ich immer allein fahren. Ich kann zu Maria sagen, ich hätte zu arbeiten oder dergleichen. Allein zu fahren, ist sehr wichtig für mich.
    Du lieber Gott im Himmel, ich möchte wissen, wieso ich auf die Idee gekommen bin, diese Frau zu heiraten und zwei Kinder mit ihr zu haben. Es macht keine Freude, mit ihr im Bett zu sein. Es ist eine stinklangweilige Prozedur, und ich kann nicht einmal erwarten, hinterher erleichtert zu sein. Glücklich bin ich auch nie dabei. Und sie liegt da und hat sich abgemüht, und manchmal weint sie.
    Er warf die Zigarette in einen Eimer, in dem Wasser stand. Einen Augenblick lang war er amüsiert darüber, dass er so etwas dachte. Alle Welt regte sich auf, dem Sexus sei ein viel zu großes Stück der Partitur des Lebens eingeräumt worden. Dann zündete er sich eine neue Zigarette an und dachte: Trotzdem ist etwas daran. Der Mensch hat sich ein wenig befreit von denen, die man Pharisäer nennt,
    Er stand auf und stellte sich an das Fenster. Das Laborgebäude lag unmittelbar an der Straße. Um diese Zeit war immer sehr viel Betrieb. Er achtete besonders auf die Mädchen mit langen Haaren und sehr kurzen Röcken, und er stellte sich die Frage, ob eine von ihnen vielleicht nochJungfrau war, und mit welchen Lügen sie durch das Leben gingen.
    Es war eine feste Überzeugung von ihm, dass jeder Mensch mit Lügen durch sein Leben ging. Wie sahen die Lügen dieser Mädchen aus? Er hatte sich oft vorgestellt, ein solches Mädchen zur Geliebten zu haben und ihr monatlich ein Appartement zu zahlen. Wir würden es ziemlich toll miteinander treiben, dachte er, und wahrscheinlich würde ich Maria dann auch besser ertragen können. Aber es kann sein, dass diese Mädchen so was nicht mögen. Wenigstens nicht mit mir. Ich bin dreiundvierzig. Ich habe noch keinen Bauch, aber man sieht, dass ich dreiundvierzig bin. Ich müsste zugeben, dass ich einen achtzehnjährigen Sohn und eine siebzehnjährige Tochter habe. Ich müsste auch von meiner Frau erzählen. Aber das würde die ganze Sache bereits erheblich stören.
    Wenn ich von Maria rede, bin ich wahrscheinlich impotent. Zwanzig Jahre lang habe ich gewartet, dass sie unter mir explodiert. Sie ist nie explodiert. Sie hat eigentlich nie etwas getan dabei. Wahrscheinlich werde ich also impotent sein, wenn ich von Maria rede.
    Oder ich werde so eine
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