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Der Einbruch des Meeres

Der Einbruch des Meeres

Titel: Der Einbruch des Meeres
Autoren: Jules Verne
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sein würde.
    Endlich wurde es in der Umgebung des Tell wirklich heller. Die Bäume zeigten das Skelett ihres Astwerkes… und Skelett ist die treffende Bezeichnung, denn hier standen nur abgestorbene Bäume ohne Laub und ohne Früchte. Nun verschwand auch der Nebel überhaupt durch einen stärkeren Windstoß, der ihn nach Westen trieb.
    Das Melrir zeigte sich plötzlich in weiter Ausdehnung.
    Infolge der Senkung des Bodens dieser Hoffra war es zum Teil überschwemmt, und ein flüssiger, etwa fünfzig Meter breiter Gürtel umschloß den ganzen Tell. Weiter draußen flimmerten auf dem da und dort höher liegenden Boden die kristallenen Effloreszenzen, und in den Niederungen spiegelte das Wasser zwischen langen, sandigen und trocken liegenden Flächen die glänzenden Sonnenstrahlen wider.
    Der Kapitän Hardigan und der Ingenieur sandten die Blicke prüfend nach allen Punkten des Horizontes hinaus.
    »Das liegt doch klar zutage, sagte dann von Schaller, daß sich hier ein heftiger seismischer Vorgang abgespielt hat. Der Boden des Schotts hat sich offenbar noch weiter gesenkt, und nun ist das Grundwasser über ihn ausgetreten.
    – Dann müssen wir also aufbrechen, bevor der Weg uns gänzlich abgeschnitten wird, antwortete der Kapitän. Aufbrechen… und das augenblicklich!«
    Alle stiegen sofort hinunter, wurden da aber durch das entsetzliche Schauspiel, das sich ihren Augen bot, auf der Stelle festgebannt.
    Etwa eine halbe Lieue im Norden und von Nordosten her tauchte in voller Flucht eine Herde Tiere auf. Reichlich vierhundert Raubtiere und Wiederkäuer, Löwen, Gazellen, Antilopen, wilde Schafe und Büffel suchten sich dem Anscheine nach im Westen des Melrir zu retten. Alle mußten von gleichmäßigem Schrecken erfüllt sein, der die Wildheit der einen ebenso lähmte, wie er die Scheu und Furchtsamkeit der andern unterdrückte, denn alle strebten in dieser tollen Verwirrung nur danach, sich der Gefahr zu entziehen, die diese allgemeine Flucht der Vierfüßler des Djerid veranlaßt hatte.
    »Was zum Kuckuck geht denn überhaupt da draußen vor? rief der Brigadier Pistache wiederholt.
    – Ja… was kann da geschehen sein?« fragte Kapitän Hardigan.
    Der Ingenieur, an den er sich mit diesen Worten wandte, gab darauf keine Antwort. Da rief einer der Spahis:
    »Sollten die Tiere auf uns zugestürmt kommen?
     

    An die hundert Männer, die von dem Schaume der riesigen Flutwelle… (S. 224.)
     
    – Und wohin könnten wir dann fliehen?« setzte der andre hinzu.
    Jetzt war die Herde kaum noch einen Kilometer entfernt und näherte sich mit der Schnelligkeit eines Blitzzuges immer mehr. Es schien aber doch nicht so, als ob die Tiere bei ihrer rasenden Flucht die sechs Männer bemerkt hätten, die auf dem Tell Zuflucht gesucht hatten. Alle schwenkten jetzt nämlich gleichzeitig nach links hin ab und verschwanden allmählich in einer Staubwolke.
    Auf Anordnung des Kapitäns Hardigan hatten sich übrigens alle, um womöglich nicht bemerkt zu werden, am Fuße der Bäume schon vorher ausgestreckt niedergelegt. Dabei sahen sie auch in der Ferne ganze Schwärme Flamingos, die ebenfalls entflohen, und noch Tausende andrer Vögel, die kräftigen Flügelschlags den Ufern des Melrir zustrebten.
    »Ja, was ist denn da los?« fragte der Brigadier Pistache immer wieder.
    Mittlerweile war es vier Uhr Nachmittag geworden, und jetzt sollte die Veranlassung zu dieser auffallenden Flucht der Tiere klar werden.
    Von Osten her begannen sich Wassermassen über das Schott hin zu wälzen, und bald war die sandige Ebene gänzlich, wenn auch nur seicht, überschwemmt. Allmählich verschwanden die Salzausschwitzungen, so weit der Blick reichte, und wie von einem großen Seespiegel wurden die Strahlen der Sonne zurückgeworfen.
    »Sollten die Gewässer des Golfs über das Melrir eingedrungen sein? sagte Kapitän Hardigan.
    – Das möchte ich fast glauben antwortete der Ingenieur. Die unterirdischen Geräusche, die wir gehört haben, rührten unzweifelhaft von einem Erdbeben her, das im Erdboden beträchtliche Störungen zur Folge gehabt hat. Dadurch mag sich der Boden des Melrir und vielleicht der ganze östliche Teil des Djerid gesenkt haben, und dann wird das Meer nach Durchrechung des noch übrigen Küstenwalls von Gabes über das Land bis zum Melrir hereingeflutet sein.«
    Diese Erklärung traf jedenfalls das Richtige. Man stand hier einer seismischen Erscheinung gegenüber, deren Umfang noch nicht zu erkennen war. Infolge der dadurch
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