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Tango Mosel

Tango Mosel

Titel: Tango Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Dienstagabend, 17. April
    Ein warmer Südwind hatte das Thermometer am Nachmittag auf sommerliche Temperaturen klettern lassen. Gegen Abend stülpte sich eine Wolkendecke wie eine Glocke über das Moseltal und hielt die warme Luft in den Straßen der Trierer Innenstadt gefangen.
    Zu beiden Seiten der riesigen Baugrube ragten die Fassaden der angrenzenden Gebäude auf. Bei einem fehlte der Giebel. Eine tiefe Wunde klaffte darin, als habe eine Explosion sie gerissen.
    Der Mann saß auf einer unbequemen Holzbank, die Arme nach hinten abgestützt, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, in seinen Ohren steckten weiße Stöpsel. Ein Taschenbuch lag neben ihm. Zum Lesen war das Licht, das die an einem dicken Draht über der Straße baumelnde Laterne abstrahlte, zu schwach.
    Vorübergehende sollten denken, er genieße die wie ein vorsommerliches Geschenk anmutende warme Nacht mit ein wenig Musik. Das jedenfalls glaubte Rocky. In Wahrheit machten die meisten Leute einen Bogen um diesen drahtigen Mann mit der latent gefährlichen Ausstrahlung, dem etwas katzenhaft Sprungbereites anhaftete, obwohl er nicht mehr der Jüngste war.
    Die Stöpsel in seinen Ohren waren stumm. Rocky stand, besser gesagt, er saß Schmiere. Einer seiner vielen kleinen Jobs. Nichts Besonderes. Von Schmiere stehen im klassischen Sinn konnte eigentlich auch keine Rede sein. Die meiste Zeit war er unterwegs, mit leicht wippendem Gang über das Pflaster der Innenstadt. Dabei blieb er immer in der Nähe des großen dunklen Geländes, das von einem überwiegend blickdichten hohen Bauzaun umgeben war und auf dem seine beiden Kumpels bereits seit einer Weile ihren heimlichen Aktivitäten nachgingen. Ein kleines krummes Ding. Ein paar Kabel lagen da rum. Die schleppten sie an eine Stelle, an die man mit dem Laster heranfahren konnte. Die Kabel waren schwer, deshalb mussten sie von Hand durchgesägt werden. Maschinen machten zu viel Lärm. Eigentlich war es noch zu früh für diesen Job. Es war noch nicht mal Mitternacht. Aber die beiden Typen da unten wollten es so, wahrscheinlich, weil sie schon genug Bier intus hatten und in ein paar Stunden zu besoffen gewesen wären.
    Rocky peilte für ein paar Euro die Lage. Mehr nicht. Er trug immer noch das Shirt, mit dem er schon den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen war und das, wie er glaubte, seinen durchtrainierten Oberkörper besonders gut zur Geltung brachte. Seine alten Tätowierungen auf den Oberarmen waren verblasst und grau geworden wie sein Haar. Für den an den Ärmeln über seiner Brust verknoteten dünnen Wollpullover war die Nacht noch zu mild.
    Rocky fühlte einen leichten Druck auf seinen Körper, als habe man eine Decke auf ihn gelegt. Er kannte das Gefühl zu gut. Er beugte sich zur Seite, um seine Hosentasche auf der rechten Seite zu lockern, wo er den Blister mit dem aufputschenden Captagon herauszog und zwei Tabletten durch die Folie drückte. Nachdem Rocky sich die Pillen weit hinten auf die Zunge gelegt hatte, schluckte er sie trocken hinunter.
    Er brauchte dringend etwas zu trinken. Als er aufstand, spürte er an seinen Waden und Fußgelenken, dass er in den letzten Tagen viel zu Fuß unterwegs gewesen war. Sein Rücken schmerzte im Bereich der Lendenwirbel. Es wurde Zeit für ein Schläfchen.
    Nach ein paar Metern hatte sich die Steifheit gelöst und er konnte in seinen gewohnten, leicht wippenden Gang verfallen.
    Wo sich die Straße zum Kornmarkt hin öffnete, sah er hinter dem Brunnen auf den Tischen der Freiterrassen Kerzenlicht in Gläsern flackern. Es schienen immer noch fast alle Plätze besetzt zu sein.
    Draußen gab es keine Theke. Sich allein an einen Tisch zu setzen, hatte er keine Lust und auch keine Zeit. Hier verkehrten vornehmlich Leute, mit denen er und die ihrerseits auch mit ihm keinen Umgang pflegten. Solche Menschen sprachen ihn höchstens dann an, wenn sie in einer Krise steckten und eine Waffe kaufen wollten oder jemanden benötigten, der irgendeinem Typen eine Abreibung verpassen oder, wenn es ganz heftig kam, jemanden umbringen sollte. Wie dieser Kerl, der die minderjährige Babysitterin geschwängert hatte. Rocky hatte dem verzweifelten Vater des Mädchens ein wenig helfen können, ganz nach seinem Leitspruch, ein wenig geht immer.
    Er machte kehrt. Bis zum Hauptmarkt waren es nur ein paar Schritte. Und dort gab es angenehmere Kneipen, wo er um diese Zeit eine schnelle Cola kriegen konnte. Ein weißer Ford der Wach- und Schließgesellschaft fuhr
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