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Tango Mosel

Tango Mosel

Titel: Tango Mosel
Autoren: Mischa Martini
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langsam durch die Fußgängerzone. Die beiden dunkel gekleideten Männer im Fond nickten, als Rocky die Hand zum Gruß hob.
    Entlang dem hohen Vorhang mit einer Zeichnung, wie das hier entstehende Einkaufszentrum einmal aussehen sollte, verlangsamte Rocky seine Schritte. Dahinter lag die Baugrube, die sich mehr als hundert Meter weit ausdehnte. Er blieb an einem der kopfgroßen Gucklöcher stehen. Ganz leise vernahm er das hohe Sirren einer Metallsäge, die sich durch ein Kupferkabel quälte. Sehen konnte er seine Kumpels nicht. In der Grube gab es kein Licht. Von den Geräuschen her mussten sie weiter hinten sein.
    Während Rocky überlegte, ob er Bescheid sagen sollte, dass er mal für fünf Minuten weg wäre, wurde seine Aufmerksamkeit auf das beschädigte Gebäude am rechten Rand der Baustelle gelenkt. Die offene Fassade wirkte wie eine Puppenstube, wäre da nicht das Treppenhaus mit der hellen Edelstahltreppe gewesen, die an manchen Stellen aus ihrer Verankerung gerissen war. So etwas fiel jedem Schrotträuber gleich ins Auge. Diesmal erregte aber etwas anderes seine Aufmerksamkeit. War dort eine Katze unterwegs oder war es eine Ratte? Rocky entgingen keine Kleinigkeiten, was ihm manchmal lästig werden konnte. Er schirmte seine Augen mit den Händen gegen das Licht der Straße ab und beugte den Kopf näher an das Guckloch. Einen Moment glaubte er, eine Stimme zu hören. Er blickte sich um. Die Straße hinter ihm war menschenleer. Dann sah er Beine auf dem ersten Treppenabsatz. Dunkle Hose, schwarze Schuhe. Leises Klacken von Sohlen auf den Stufen. Langsam glitt eine Gestalt nach unten.
    Rocky nahm den Kopf soweit zur Seite, dass er nur noch mit dem linken Auge beobachtete. Seine Hand tastete nach der Handytasche an seinem Gürtel. Ein krachendes Geräusch ließ ihn innehalten. Etwas löste sich von der Treppe und stürzte hinab, einem kurzen Schrei folgte ein dumpfer Aufprall.
    Rocky zog seinen Mund schief und öffnete leicht die Lippen über dem fehlenden Zahn in seinem Unterkiefer, direkt neben dem Eckzahn. Er stieß einen kurzen Pfiff aus. Das geschah so spontan, dass ihm erst im nächsten Augenblick sein Handy einfiel, das schon seit Jahren in solchen Momenten zum Einsatz kam.
    Er wippte auf die Zehenspitzen, schob seinen Kopf, soweit es ging, in das Guckloch. Im Dunkel der Baugrube konnte er nichts erkennen.
    *
    Walde versuchte zum wiederholten Mal, Doris zu Hause anzurufen. Mit dem ans Ohr gepressten Mobiltelefon stand er vom Tisch seiner Kollegen auf und entfernte sich ein paar Schritte von der belebten Laubenterrasse weg ins Dunkle. Als Doris sich endlich meldete, war er auf dem verlassenen Moseldamm vor dem dunklen Bogen des Uferweges unter der Kaiser-Wilhelm-Brücke angekommen.
    »Hab ich dich geweckt?«, fragte Walde.
    »Nein«, kam es knapp zurück.
    »Wir sind noch hier unten in Zurlauben, ich wollte dir Bescheid sagen, dass es später wird.«
    »Das habe ich schon bemerkt.« Er hörte im Hintergrund, wie Seal ,Bring It On’ sang.
    »Was machst du?«, fragte er.
    »Ich sitz im Garten und dachte, wir …«
    »Ja?«
    »Egal. Bis später.«
    »Hallo?«, versuchte es Walde. Sie hatte aufgelegt.
    Sie hatte sich bestimmt auf den ersten warmen Abend des Jahres gefreut, den sie gemeinsam bei einem Glas Wein in dem kleinen Garten zwischen den hohen Mauern hätten genießen können. Und auch nach Annika hatte er nicht gefragt, was er sonst nie versäumte.
    Die Lichter der nahen Brücke spiegelten sich in dem schnell fließenden Wasser des Flusses. Auf der gegenüberliegenden Insel war an den frisch ergrünten Hecken schemenhaft eine Spur aus graubrauner Kruste von hängen gebliebenem Dreck zu erkennen. Bis zu dieser Höhe hatte das nun ablaufende Hochwasser gereicht. Walde sog die feuchte, nach faulendem Holz und Fisch riechende Luft ein.
    Die Mosel führte noch soviel Wasser, dass der Landungssteg deutlich bis zu dem bedrohlich aussehenden Schiff anstieg. Es lag dort, wo für gewöhnlich nur Passagierschiffe ankerten. Auf Deck schien gefeiert zu werden. Lachen aus Männerkehlen war zu vernehmen.
    Eine entgegenkommende Gruppe Jugendlicher in Schulklassenstärke teilte sich vor Walde und schlenderte laut schwatzend und lachend an ihm vorbei.
    Als er zum Tisch unter dem noch blattlosen Dach aus knorrigen Weinranken zurückkehrte, lag eine Decke auf seinem Stuhl. Eine Kellnerin werkelte unbeholfen an der Gasflasche eines Heizstrahlers herum.
    »Ich mache das.« Grabbe schloss kaum weniger umständlich die
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