Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
entsprach, den ein kleiner Junge sich von seiner toten Mutter erschuf, als der Wirklichkeit. Ganz genau entsann er sich hingegen der zweiten Hochzeit seines Vaters ein knappes Jahr später. Er hatte die Ankunft seiner neuen Mutter herbeigesehnt, denn er war erst sechs und brauchte dringend eine. Laura hatte ihn gewarnt. Lass uns erst einmal abwarten, hatte sie gesagt. Lass uns sehen, wie sie ist. Aber ihre Skepsis hatte seine Zuversicht nicht dämpfen können. Lady Yolanda hatte das indes im Handumdrehen vollbracht. Sie war honigsüß zu ihren beiden Stiefkindern, bis der Vater zum ersten Mal den Rücken gekehrt hatte. Da hatte sie sich offenbart. Es hatte keine Woche gedauert, bis Laura den wenig schmeichelhaften Spitznamen ersonnen hatte: Lady Yolanda stammte aus Yorkshire, wo es nach der Vorstellung der Südengländer nichts als schroffe Felsen, Heide und Sümpfe gab. Darum »Sumpfhexe«. Und als zwei Wochen später Yolandas leibliche Tochter nach Waringham gekommen war und alles erst richtig schlimm wurde, tauften Nick und Laura ihre Stiefschwester »Brechnuss«, weil das die giftigste Pflanze war, die sie kannten, und weil es außerdem so schön hässlich klang. Und dann hatten sie alles darangesetzt, »Brechnuss« das Leben so bitter zu machen wie deren Mutter das ihre …
    Nick ging zu der Tür, die der Halle schräg gegenüberlag, und klopfte. Er wartete einen Moment, dann klopfte er noch einmal. Immer noch nichts. Kopfschüttelnd trat er ein.
    Sein Vater saß mit dem Rücken zu ihm an einem Tisch gleich unter dem Fenster, vornübergebeugt, denn er war ein großer Mann und der Tisch eigentlich zu niedrig. In der Linken hielt er eine Feder einsatzbereit über einem halb beschriebenen Papierbogen, aber sein Blick war anscheinend auf das Buch gerichtet, das aufgeschlagen neben seinem rechten Arm lag. Der Luftzug von der Tür erfasste sein begonnenes Traktat und wollte es fortwehen, aber Lord Waringham erwischte es mit dem Handballen und hielt es fest. Er kam nicht auf die Idee, sich umzuwenden und zu schauen, was den plötzlichen Sturm in seiner Bibliothek verursachte.
    Nick musste lächeln. »Entschuldige, Vater.«
    Jasper of Waringham wandte den Kopf, und als er seinen Sohn erkannte, strahlte er, warf die Feder achtlos auf den Tisch und stand auf. »Nick!«
    Er schloss ihn in die Arme, und Nick fühlte, wie dürr sein Vater geworden war. Das dicht gefältelte Wams mit den bauschigen Ärmeln verbarg diesen Umstand weitgehend, aber auch das Gesicht war hagerer geworden und tiefer gefurcht als früher. »Ich hoffe, du bist wohl?«, fragte der Junge besorgt.
    »Natürlich.« Sein Vater schien verwundert. »Es ging mir nie besser.«
    »Du wirst immer dünner.« Sie achtet nicht darauf, dass er vernünftig isst, argwöhnte Nick. Und er vergisst es einfach.
    »Wirklich?«, entgegnete sein Vater desinteressiert. »Nun, wenn es so ist, bekommt es mir offenbar gut. Es ist so eine Freude, dich zu sehen, mein Junge. Was machen deine Studien? Wie geht es Sir Thomas? Hast du ihn etwa mitgebracht?«
    Nick schüttelte den Kopf, nahm seinen Vater beim Arm und führte ihn zum Schreibtisch zurück. »Komm. Wir wollen uns setzen, ja?«
    Lord Waringham schien halb erstaunt, halb amüsiert darüber, wie ernst und erwachsen sein Sohn mit einem Mal wirkte, aber er erhob keine Einwände. Auch nicht, als Nick sich einen Moment Zeit nahm, ihm einen Becher Ale einzuschenken und in die Hand zu drücken, ehe er ihm gegenüber auf dem Schemel Platz nahm, den sein Vater benutzte, um an die Bücher in den oberen Regalreihen zu gelangen. Drei Wände des Studierzimmers waren vom Boden bis zur Decke damit gefüllt: ein paar alte Manuskripte, die schon lange im Familienbesitz waren, die große Mehrzahl jedoch gedruckte Ausgaben aktueller Werke der Philosophie, Literatur und vor allem der Theologie, die in den letzten Jahren so viele Gemüter erhitzte, darunter auch Lord Waringhams.
    Der unterbrach die Gedanken seines Sohnes mit der Frage: »Hat er dich rausgeworfen?«
    Der unbekümmerte Tonfall überraschte Nick weit mehr als die Frage an sich. Er nickte und hob gleichzeitig die Schultern. »In gewisser Weise.«
    »Was hast du angestellt?«
    »Zur Abwechslung mal gar nichts. Aber ich bin nicht klug genug für seine Schule, Vater. Ich weiß das schon seit Langem. Eigentlich wusste ich das nach einer Woche. Ich habe getan, was ich konnte, aber beim griechischen Alphabet war alles vorbei.«
    Sein Vater nahm es bei Weitem nicht so schwer, wie Nick
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher