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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron
Autoren: Rebecca Gablé
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bekamen ihn oft wochenlang nicht zu Gesicht. Ich weiß nichts über seine Lebensführung.«
    Aber das war gelogen. Sir Thomas’ Tochter, Meg Roper, oblag die Aufgabe, das härene Gewand ihres Vaters zu waschen, und obwohl sie das in aller Diskretion tat, hatte Nick sie einmal bei dieser Arbeit erwischt, denn er hatte ein Schwäche für Lady Meg und sie manchmal aufgesucht, wenn er eine freie Stunde hatte, um mit ihr zu plaudern und ihr bei der vielen Arbeit zur Hand zu gehen. Und jeder, der auf dem Anwesen in Chelsea lebte, wusste, was Sir Thomas tat, wenn er zu später Stunde, meist im Schutz der Dunkelheit, in seine Kapelle ging. Man hörte die pfeifenden Schläge bis nach draußen. Doch es wurde niemals darüber gesprochen.
    »Warum trägt man so was?«, fragte Ray wissbegierig weiter. »Ein … wie heißt das? Härenes Gewand?«
    »Es kratzt und juckt. Fürchterlich«, antwortete sein Vater. »Wenn man es lange genug trägt, reizt es die Haut so schlimm, dass sie ganz wund wird und aufplatzt. Es soll die Seele reinigen, dem Körper Ungemach zuzufügen. Es ist eine Buße, verstehst du?«
    »Nein«, bekannte sein Jüngster.
    Lord Waringham streckte den langen Arm aus und zerzauste ihm lachend den Schopf. »Dann sind wir schon zwei …«
    »Jasper, bitte«, zischte Yolanda.
    »Man fragt sich jedenfalls, warum ausgerechnet der Mann, der niemals sündigt, sich solche Bußen auferlegt«, warf Philipp ein und lenkte das Gespräch damit geschickt zurück in ungefährliche Gewässer. »Mein Onkel Nathaniel sagt jedenfalls, Thomas More sei der einzige Richter in Westminster, der sich durch nichts und von niemandem bestechen lässt.«
    »Ja«, stimmte Nick zu. »Das kann ich ohne Mühe glauben. Schon allein, weil ihm an irdischen Gütern nichts liegt. Wenn seine Frau und seine Tochter nicht auf ihn achtgäben, würde er vermutlich sein Hab und Gut verschenken und in Lumpen gehen.«
    »Aber er hält prächtige Feste, hört man«, widersprach Lady Yolanda.
    Nick hob die Schultern. »Ich schätze, er kann seine Stellung nicht gänzlich ignorieren. Von einem Mann in seiner Position wird dergleichen nun mal erwartet. Und ich glaube, er genießt es, mit Freunden zusammen zu essen und zu reden.«
    »Stimmt es, dass auch der König hin und wieder zu seinen Festen kommt?«, fragte seine Stiefmutter.
    Nick schob sich den letzten Löffel in den Mund und nickte. Er warf seinem Vater unter gesenkten Lidern hervor einen raschen Blick zu, aber dessen Gedanken waren wieder einmal abgeschweift. Lord Waringham saß an seinem Platz, die Augen auf einen Punkt rechts der Tür gerichtet, ein verhaltenes, höfliches Lächeln auf den Lippen und im Geiste weit, weit fort.
    »Und hast du ihn einmal gesehen? König Henry?«, bohrte Yolanda weiter.
    »Nur aus der Ferne.«
    »Wie sah er aus?«, fragte Ray aufgeregt. »Hatte er seine Krone auf?«
    Nick musste lächeln, hob seinen kleinen Bruder von dessen Stuhl und setzte ihn auf sein Knie. »Nein, Ray. Er sah irgendwie nicht so aus, wie du und ich uns einen König vorstellen. Er war ziemlich dick und er humpelte.«
    Sein Vater war nicht so weit entrückt gewesen, wie Nick angenommen hatte, denn er sah ihn plötzlich wieder an und wiederholte: »Humpelte?«
    »Er hat irgendein Geschwür am Bein, erzählt man in London«, hatte Philipp gehört.
    Laura schnalzte mit der Zunge. »Haben die Londoner nichts Interessanteres, worüber sie sich die Mäuler zerreißen können?«
    »Doch, Teuerste.« Ihr Gemahl neigte sich ihr verschwörerisch zu. »Aber das Wenigste davon kann man in Gegenwart von Damen wiederholen.«
    Sie lachten, und wieder dachte Nick, welch ein Geschick sein Schwager besaß, Heiterkeit und Leichtigkeit zu verbreiten. Die Durham waren ein reiches, hoch angesehenes Ritter- und Kaufmannsgeschlecht mit gewaltigem Landbesitz im nahen Sevenelms, einem eigenen Themsehafen in Tickham und einer Londoner Niederlassung. Aber Philipp war der jüngere Sohn eines jüngeren Sohnes und musste deshalb selbst zusehen, wie er eine Lebensgrundlage für sich und seine Familie schuf. Seit vielen Generationen verband die Durham und die Waringham eine enge Freundschaft, und nachdem Laura und Philipp im Kindesalter verlobt worden waren, war er jedes Jahr für einige Monate nach Waringham gekommen, um ritterlichen Schliff zu erhalten. Nick war immer selig gewesen, wenn Philipp kam, und zu Tode betrübt, wenn er wieder fortging. Schon als Junge hatte Philipp Durham es verstanden, die Schatten fernzuhalten, die in
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