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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron
Autoren: Rebecca Gablé
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Magister . Oder vor dem noblen Gegenstand Eurer Lektionen? Doch, ich habe auch davor Respekt. Aber es hilft nichts. Ich kann diese Buchstaben nicht lernen. Es ist genau, wie Ihr sagt: Ich bin ein hoffnungsloser Fall.«
    Master Wilford war selbst dann eine etwas beunruhigende Erscheinung, wenn er glänzender Laune war, denn er hatte das ausgemergelte Gesicht eines Asketen und das flammend rote Haar seiner irischen Vorfahren. Wenn seine Miene sich verfinsterte, so wie jetzt, sah er aus wie ein sommersprossiger Totenschädel. »Das ist inakzeptabel! Du wirst mit deinen Studien nicht weiterkommen, wenn du des Griechischen nicht mächtig bist, also musst du es lernen. Wie willst du Aristoteles je lesen, wenn du diese lächerlichen vierundzwanzig Buchstaben nicht meisterst?«
    Und was, wenn ich Aristoteles überhaupt nicht lesen will?, lag Nick auf der Zunge, aber er hielt sie ausnahmsweise im Zaum.
    Sie führten ihren Disput auf Lateinisch. Als Nick vor zwei Jahren in dieses Haus gekommen war, hätte er nie für möglich gehalten, dass er die fremde Sprache je gut genug meistern würde, um sie so mühelos anzuwenden, denn er hatte schon damals gewusst, dass er für solcherlei Dinge nicht so begabt war, wie sein Vater es sich wünschte. Dennoch hatte er es geschafft. Und er war stolz darauf, gerade weil es so schwer für ihn gewesen war.
    Hubert und Andrew, seine beiden Banknachbarn, beäugten ihn aus den Augenwinkeln, so als hofften sie, dass er irgendetwas Schlagfertiges, aber Unverschämtes von sich geben würde, das ihn in Schwierigkeiten und sie zum Lachen brachte. Das tat er gelegentlich, denn die meisten seiner Mitschüler waren ihm bei ihren Studien überlegen, und so war es der einzige Weg für Nick, sich zu behaupten. Er gab den Narren und nahm die Folgen klaglos hin, damit die anderen seine Verwegenheit bewunderten. Doch heute fehlte ihm die Lust zu diesem Spiel, und zum ersten Mal kam ihm der Verdacht, dass die Mitschüler ihn eher mitleidig belächelten, als ihn zu bewundern.
    Er unterdrückte ein Seufzen. »Ich werde mir mehr Mühe geben, Magister «, stellte er in Aussicht, doch er hörte selbst, dass es ihm an Elan mangelte.
    »Das kann ich dir nur raten«, brummte Master Wilford, und als er sich an Hubert wandte, hellte seine Miene sich auf. »Dann lies du uns die ersten beiden Zeilen vor und übersetze, Rudstone.«
    Während Nick zurück auf seinen Hocker sank, schnellte der Sohn des Londoner Lord Mayor in die Höhe, als stünde der seine in Flammen. » Ἄνδρα μοι ἔννεπε , Μοῦσα , πολύτροπον , ὂς μάλα πολλὰ / πλάγχθη , ἐπεὶ Τροίης ἱερὸν πτολίεθρον ἔπερσε «, trug er vor, anscheinend ohne die geringste Mühe. »Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten, der so weit herumgetrieben wurde, nachdem er Troja, die heilige Stadt, zerstört hatte.«
    »Hervorragend«, lobte Master Wilford zufrieden.
    Nick wandte den Blick zum Fenster und sah auf den Fluss hinab. Das ist einfach widerwärtig, dachte er. Musst du mir ständig unter die Nase reiben, wie leicht es dir fällt? Warte, bis wir allein sind, Rudstone …
    Ein Boot glitt ans Ufer, und als Nick seinen Gastgeber und Förderer aussteigen sah, schämte er sich seiner missgünstigen Gedanken.
    Sobald Master Wilford sie aus dem Schulraum entließ, lief Nick die Treppe hinab und ins Freie. Er beeilte sich, um Hubert und Andrew abzuhängen, denn er war nicht in der Stimmung, sich ihre Spötteleien anzuhören.
    Es hatte aufgehört zu regnen. Nick umrundete das Gebäude und ging in den weitläufigen Garten hinter dem Haupthaus, der sich bis zur Flussmauer zog. Die Sonne brach zwischen den immer noch unheilvollen Wolken hervor und ließ die Tropfen auf den Blättern der Obst- und Maulbeerbäume funkeln. An der Ostseite des Obstgartens fand Nick eine Bank, wischte nachlässig mit dem Ärmel über die nasse Sitzfläche und ließ sich nieder. Einen Moment beäugte er das schwere Buch auf seinen Knien, als rechne er damit, dass es sich in ein gefräßiges Ungeheuer verwandeln könne. Dann schlug er es auf und blätterte ohne große Lust zu der Seite, die das griechische Alphabet einführte.
    Er war bis Zeta gekommen, als eine Stimme ihn aus seinen Studien riss. »Vergebt mir, Sir …«
    Er sah auf. »Ja?«
    Ein altes Weib in Lumpen stand auf dem Kiesweg vor ihm, und sie stützte einen ebenso alten Mann, der sich offenbar kaum auf den Beinen halten konnte. »Es heißt, hier gibt es
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