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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron
Autoren: Rebecca Gablé
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Seitenblick zu, und unter den buschigen Brauen funkelte es belustigt. »Du weißt, dass Schweigen dem Gesetz nach als Zustimmung zu deuten ist, nicht wahr?«
    »Ist das nicht ein törichtes oder gar gefährliches Gesetz?«
    »Inwiefern?«
    Nick überlegte einen Moment. »Nun, es gibt so viele Gründe, die einen zum Schweigen zwingen können: Loyalität. Das Gewissen. Das Bestreben, einen anderen zu beschützen. In solchen Fällen muss man schweigen, obwohl man gerne Widerspruch und Einwände erheben würde. Wenn das Gesetz aber sagt, Schweigen bedeutet Zustimmung, dann wird der Schweigende per Gesetz missverstanden.«
    »In dem Fall muss er sein Schweigen vielleicht brechen. Loyalität, das Gewissen oder der Wunsch, einen anderen zu schützen, sind redliche und gottgefällige Motive, kein Zweifel, aber vor Gericht geht es in erster Linie darum, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Sagt also Jack vor dem Richter: ›John hat gesehen, wie Jim mein Schaf gestohlen hat‹, und John schweigt, wertet der Richter dies als Bestätigung, dass er den Diebstahl tatsächlich gesehen hat.«
    »Was aber, wenn John von Jack bestochen wurde, in Wahrheit gar nichts gesehen hat und nur schweigt, um vor Gericht nicht die Unwahrheit zu sagen?«
    »Dann ist auch sein Schweigen eine Lüge«, räumte Sir Thomas ein.
    »Für die er nie zur Verantwortung gezogen wird, weil der Richter sein Schweigen als Zustimmung wertet, ohne der Sache auf den Grund zu gehen.«
    »Hm«, machte der Gelehrte und nickte versonnen. »Du vergisst eine Kleinigkeit.«
    Nick wusste, was er meinte. »Ja, sicher, Gott sieht die Lüge und wird den Zeugen zur Rechenschaft ziehen. Aber geht es bei einem Gerichtsverfahren nicht um irdische Gerechtigkeit?«
    Sir Thomas hob eine knochige Hand und winkte seufzend ab. »Glaub einem Mann, der jahrelange Erfahrung mit irdischer Gerichtsbarkeit hat: Sie ist so unvollkommen, dass wir auf göttliche Gerechtigkeit niemals verzichten können. Denn unsere Gerichte, unsere Richter und Urteile sind so fehlbar wie die menschliche Natur, Nicholas.«
    Er blieb stehen, um zwei Schmetterlinge zu beobachten, die in einem Klecks aus Sonnenlicht umeinandertaumelten, so als seien sie trunken vor Glück über die Rückkehr des Sommers nach den langen Wochen des Regens. Nick blickte zum Himmel auf und sah, dass die Freude der Schmetterlinge nicht lange währen würde. Der Sommer gab nur ein kurzes Gastspiel. Neue dunkle Wolken zogen von Westen heran, und nach wenigen Augenblicken verschluckten sie die Sonne wieder, verwandelten den leise murmelnden Fluss, der zu ihrer Linken durch die schmalen Birkenstämme schimmerte, in eine bleigraue Masse und den Schatten unter den Bäumen in bräunliches Zwielicht. Nick fröstelte.
    »Du schweigst ja schon wieder, Nicholas«, zog Sir Thomas ihn auf. »Mir scheint, du bist niedergeschlagen.«
    Der junge Waringham ging neben ihm einher und passte seinen von Natur aus raschen Schritt dem gemächlichen Gang seines Mentors an. »Nein, Sir Thomas. Nicht niedergeschlagen. Aber ich beginne zu ahnen, dass dieser gemeinsame Spaziergang kein Zufall ist und nichts Erfreuliches zu bedeuten hat. Das macht mich vielleicht ein wenig nervös.«
    Sir Thomas blieb wieder stehen. »Wie kommst du darauf?«, fragte er neugierig.
    »Ihr seid Richter, Gelehrter, Mitglied des Kronrats und Ratgeber sowohl des Königs als auch seines Lord Chancellor. Ihr habt so viele wichtige Dinge zu tun, dass der Tag niemals genug Stunden für Euch hat. Darum kann ich mir kaum vorstellen, dass Ihr zum Zeitvertreib meine Gesellschaft sucht.«
    »Ich fände es bedauerlich, wenn der Eindruck entstanden wäre, dass ich eine Unterhaltung mit den studiosi meiner kleinen Schule für Zeitverschwendung hielte.« Es klang eine Spur pikiert. Und schuldbewusst.
    Nick ließ Sir Thomas nicht aus den Augen, und er war beinah amüsiert über dessen Unbehagen, wenngleich sein Herz mit jedem Schlag schwerer wurde. Die dunklen Augen erwiderten seinen Blick unverwandt. Thomas More war ein großgewachsener Mann, aber Nicholas musste kaum mehr zu ihm aufschauen. »Von den zwölf studiosi Eurer ›kleinen Schule‹, wie Ihr sie zu nennen beliebt, wären elf klügere Gesprächspartner als ich, wie Ihr sehr wohl wisst, Sir.« Er senkte den Blick, denn er konnte das Lodern in Thomas Mores Augen nicht länger aushalten. Er räusperte sich und zwang sich fortzufahren: »Ihr wollt mich nach Hause schicken, nicht wahr?«
    Eine Hand legte sich auf seine Schulter. »Ja. Es ist
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