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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron
Autoren: Rebecca Gablé
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so«, räumte Sir Thomas ein.
    Nick biss die Zähne zusammen, weil ihm von dem gütigen Tonfall ganz elend wurde.
    »Lass mich dir die Gründe erklären, mein Junge …«
    »Oh, ich kenne die Gründe«, erwiderte Nick bedrückt. »Master Wilford hat völlig recht. Ich werde mit meinen Studien nicht weiterkommen, als ich jetzt bin. Ich habe einfach nicht das Zeug zum Gelehrten. Und es gibt zu viele Jungen in England, die einen Platz in Eurer Schule viel mehr verdient haben als ich.«
    »Du hast mich unterbrochen und unterstellst, meine Gedanken zu kennen. Das ist ebenso ungehörig wie gefährlich.« Es war eine eigentümliche Mischung aus Strenge und Milde, die in der Stimme schwang.
    Nick biss sich auf die Unterlippe. »Tut mir leid, Sir. Die lose Zunge ist ein Familienübel …«
    Der Pfad schlängelte sich aus dem Schatten der Bäume und näher ans Ufer. Ein halb verfallenes Ruderboot lag mit dem Kiel nach oben im hohen Gras. Sir Thomas’ wadenlanger dunkler Mantel wurde feucht, als er Nick dorthin führte, auf dem Rumpf Platz nahm und den Jungen mit einer Geste aufforderte, es ihm gleichzutun.
    Dann wandte er sich ihm zu. »Es mangelt dir nicht an Verstand. Aber ich stimme dir zu, wenn du sagst, dass du nicht zum Gelehrten geboren bist. Nicht alle Menschen können das sein, Nicholas, denn dann würden wir verhungern«, schloss er mit einem Lächeln.
    Nick befingerte einen Splitter im spröden, gräulichen Holz des Rumpfes. »Ihr habt recht, Sir. Und obwohl ich diesen Ort und die Menschen hier vermissen werde, verspürt ein Teil von mir Erleichterung. Aber es wird eine bittere Enttäuschung für meinen Vater sein.«
    Sir Thomas wiegte den Kopf hin und her. »Das glaube ich nicht. Ich denke eher, er wird dir hoch anrechnen, dass du zwei Jahre lang so hart gearbeitet hast. Er mag zerstreut und weltfremd sein, aber dennoch kennt er seine Söhne. Im Übrigen ist er der Grund, warum ich dich bitten will, nach Hause zurückzukehren.«
    »Mein Vater?«, fragte Nick verwundert, und sogleich beschlich ihn ein grässlicher Gedanke. »Ist er krank?«
    »Nein. Es ist schlimmer. Ich fürchte, dein Vater ist ein Ketzer.«
    Nick antwortete nicht.
    »Ich merke, das ist dir nicht neu.«
    Der junge Waringham schaute verblüfft auf. Er glaubte, einen Tonfall strenger Missbilligung gehört zu haben, und als er Sir Thomas ins Gesicht sah, erkannte er, dass er sich nicht getäuscht hatte: Die Miene war untypisch sturmumwölkt.
    »Er … er ist kein Ketzer, Sir«, widersprach Nick verlegen. »Nur weil er manchmal mit Lutheranern auf dem Kontinent korrespondiert, heißt das doch nicht …«
    »Es ist besser, du sprichst nicht weiter«, unterbrach Thomas More, aber er klang wieder gütig, so wie Nick ihn kannte. »Was ich nicht gehört habe, kann ich vor keinem Gericht wiederholen, nicht wahr?«
    Nick spürte einen eisigen Schauer seinen Rücken hinabrieseln, und das lag nicht daran, dass der Regen mit vereinzelten dicken Tropfen wieder einsetzte. »Mein Vater ist kein Ketzer«, wiederholte er mit mehr Nachdruck.
    Sir Thomas nickte. »Wie alt bist du, Nicholas?«
    »Vierzehn, Sir. Nächsten Monat. Am zweiundzwanzigsten.«
    »Ah. An St. Andrew.« Sir Thomas lächelte flüchtig. Offenbar hatte er eine Schwäche für den Nationalheiligen der Schotten.
    »Und der Jahrestag der Schlacht von Bosworth«, fügte Nick hinzu. Genau dreißig Jahre nach jener schicksalhaften Schlacht war er zur Welt gekommen.
    »Ach, richtig«, murmelte Sir Thomas, der für Schlachten nicht viel übrig hatte. Darum fiel Nick aus allen Wolken, als der Gelehrte fortfuhr: »War es nicht dein Urgroßvater, der die gefallene Krone unter einem Dornbusch gefunden und sie dem siegreichen Henry Tudor aufs Haupt gesetzt hat?«
    »So berichtet es unsere Familienlegende«, räumte Nick ein. »Ich bin nie sicher, ob ich es glauben soll. Wenn es stimmt, haben die Waringham jedenfalls nicht lange gebraucht, um vom Gipfel des Ruhms zu stürzen und in Bedeutungslosigkeit zu versinken.«
    »Das verbittert dich?«
    Nick dachte einen Moment darüber nach. »Nein«, antwortete er dann. »Verbitterung wäre ein zu großes Wort dafür. Es wundert mich. Vielleicht ist es mir ein wenig peinlich. Aber ich glaube, das ist alles.«
    »Gut so«, lobte Sir Thomas. »Es beweist, dass du dich nicht um weltliche Eitelkeit scherst. Und ich werde einfach glauben, dass du diese Weisheit in meinem Haus und meiner Schule erlernt hast, und mich an dem Gedanken erfreuen.«
    Du machst mich wieder
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