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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
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1
     
    La Jolla, Kalifornien
     
    Das rechteckige, schiefergraue Schild erhob sich auf einem
niedrigen Hügel lindgrünen und büscheligen
koreanischen Grases, umgeben von Schwertlilien und auf einer Seite
flankiert von einem dunklen, zementierten Teich, auf dem Seerosen
blühten. In die Straßenseite der Tafel war der Name
GENETRON in roter Antiquaschrift graviert, und unter dem Namen stand
das Motto: Wo kleine Dinge große Veränderungen
bewirken.
    Die Laboratorien und Büros der Genetron waren in einem
u-förmigen kahlen Betongebäude im Bauhausstil
untergebracht, dessen Flügel einen rechteckigen Gartenhof
umgaben. Der Hauptkomplex hatte zwei Ebenen mit außenliegenden
Korridoren. Jenseits des Hofes und hinter einem künstlichen
Hügel, dessen neue Bepflanzung noch nicht vollständig war,
stand ein vierstöckiges, würfelförmiges Bauwerk mit
schwarzen Glasfassaden hinter einem elektrifizierten
Stacheldrahtzaun.
    Dies waren die zwei Seiten der Genetron: die offenen Laboratorien,
wo die Biochip-Forschung betrieben wurde, und das Gebäude, wo im
Auftrag des Verteidigungsministeriums militärische Anwendungen
erforscht wurden.
    Selbst für die offenen Laboratorien galten strenge
Sicherheitsbestimmungen. Alle Beschäftigten trugen
laserbedruckte Plaketten, und der Zutritt Nichtbeschäftigter zu
den Laboratorien wurde sorgfältig überwacht. Die
Firmenleitung der Genetron – fünf Absolventen der
Stanford-Universität, die drei Jahre nach beendetem Studium die
Gesellschaft gegründet hatte – war sich darüber im
klaren, daß Industriespionage bei weitem wahrscheinlicher war
als ein geheimdienstlicher Einbruch in den schwarzen Würfel.
Doch war die Atmosphäre nach außen hin gelockert und
heiter, und man gab sich große Mühe, die
Sicherheitsmaßnahmen unauffällig durchzuführen.
    Ein lang aufgeschossener Mann mit gebeugten Schultern und
widerspenstigem schwarzen Haar befreite sich aus dem Innern eines
roten Volvo-Sportwagens und nieste zweimal, bevor er den
Angestelltenparkplatz überquerte. Die Gräser begannen ihre
frühsommerliche Blüte, und ihr Pollen bewirkte eine wahre
Orgie von Schleimhautreizungen. Beiläufig grüßte er
Walter, den nicht mehr jungen, aber drahtigen Wachmann. Walter
überprüfte ebenso beiläufig seine Plakette, indem er
sie durch das Laser-Ablesegerät laufen ließ. »Nicht
viel Schlaf gehabt, Mr. Ulam?« sagte er.
    Vergil schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf.
»Parties, Walter.« Seine Augen waren gerötet, die Nase
vom ständigen Reiben mit dem Taschentuch, das nun feucht und
ergeben in seiner Tasche ruhte, angeschwollen.
    »Wieso arbeitende Menschen wie Sie mitten in der Woche zu
Parties gehen können, verstehe ich nicht.«
    »Die Damen verlangen es, Walter«, sagte Vergil im
Weitergehen. Walter grinste und nickte, obwohl er seine Zweifel daran
hatte, daß Vergil viel von Damen beansprucht wurde, sei es mit
oder ohne Parties. Wenn seit Walters Tagen kein ernstlicher Verfall
der gesellschaftlichen Normen stattgefunden hatte, konnte niemand mit
einem wochenalten Stoppelbart auf große Erfolge hoffen.
    Ulam war bei Genetron nicht die einnehmendste Gestalt. Seine
Einsneunzig wurden von sehr großen Plattfüßen
getragen. Er hatte fünfundzwanzig Pfund Übergewicht und
litt mit zweiunddreißig Jahren unter Rückenschmerzen und
zu hohem Blutdruck. Es war ihm unmöglich, sich so sauber zu
rasieren, daß kein Bartschatten sichtbar war.
    Seine Stimme war nicht geeignet, Freunde zu gewinnen – rauh,
etwas schnarrend und zur Lautheit neigend.
    Zwei Jahrzehnte in Kalifornien hatten seinen texanischen Akzent
geglättet, doch wenn er sich aufregte oder zornig wurde, setzte
sich das alte Idiom mit beinahe schmerzhafter Deutlichkeit durch.
    Seine einzige Auszeichnung waren ein Paar von üppigen langen
Wimpern verteidigte, wunderbar smaragdgrüne Augen, groß
und ausdrucksvoll. Sie waren jedoch mehr dekorativ als funktional,
denn sie blickten durch eine große Brille mit schwarzem
Gestell. Vergil war kurzsichtig.
    Zwei und drei Stufen auf einmal nehmend, erstieg er die Treppe. Im
zweiten Stock ging er den offenen Korridor entlang zum gemeinsamen
Geräteraum der Biochip-Abteilung, bekannt unter dem Namen
Gemeinschaftslabor. Üblicherweise begann sein Arbeitstag mit der
Überprüfung von Proben in einer der fünf
Ultrazentrifugen. Seine letzte Partie rotierte seit sechzig Stunden
mit mehr als dreitausend Umdrehungen pro Minute und war jetzt bereit
für die Analyse.
    Für einen Mann seiner
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