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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron
Autoren: Rebecca Gablé
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ihrer zahlreichen Stiefmütter, die diesen Tag erlebt hatte und ihn obendrein in vollen Zügen zu genießen schien.
    Nick und der Bischof von Durham geleiteten Mary auf die erhöhte, mit Goldbrokat ausgelegte Estrade, hielten an jeder der vier Ecken an, um dem Volk seine neue Königin zu zeigen, und schließlich rief Stephen Gardiner, der Bischof von Winchester: »Hier tritt vor Euch hin Mary, nach den Gesetzen Gottes und der Menschen rechtmäßige Erbin der Krone von England, Frankreich und Irland. Wisset, dass die Lords dieses Reiches den heutigen Tag bestimmt haben, um diese vorgenannte höchst edle Prinzessin Mary zu salben und zu krönen. Wollt Ihr dieser Salbung und Krönung zustimmen?«
    »Das wollen wir!«, donnerte die Menge. Ein geradezu frenetischer Jubel verjagte die weihevolle Stille aus der altehrwürdigen Krönungskirche und mündete schließlich in einem einhelligen Sprechchor: »Gott schütze Königin Mary! Gott schütze Königin Mary!«
    Als wieder Ruhe eingekehrt war, kniete Mary vor dem Altar nieder, um ihren Krönungseid zu leisten.
    »Majestät, wollt Ihr dem englischen Volk schwören, die gerechten und gottgefälligen Gesetze und Bräuche zu bewahren, die Eure Vorfahren, die vorangegangenen und gottesfürchtigen Könige ihm gegeben haben, insbesondere die Gesetze, Bräuche und Rechte, die der ruhmreiche und heilige König Edward der Bekenner dem Klerus und dem Volke gewähret hat?«, fragte Gardiner.
    »Das schwöre und gelobe ich«, antwortete Mary. Nicht das leiseste Zittern schwächte ihre Stimme.
    »Majestät, wollt Ihr in all Euren Ratschlüssen, soweit es in Eurer Macht steht, Frieden und Eintracht mit Gott, der Heiligen Kirche, dem Volke und dem Klerus bewahren?«
    »Sie will ich bewahren.«
    »Majestät, wollt Ihr, soweit es in Eurer Macht steht, Gerechtigkeit walten lassen, unvoreingenommen und weise, mit Wahrhaftigkeit und Mitgefühl?«
    »Das will ich.«
    »Majestät, wollt Ihr die Gesetze befolgen und einhalten, die die Vertreter Eures Reiches beschließen, und wollt Ihr diese, soweit es in Eurer Macht steht, zur Ehre Gottes verteidigen und stärken?«
    »Das schwöre und gelobe ich.«
    Dann streckte sie sich vor dem Altar mit dem Gesicht nach unten aus, so wie es auch ein Priesterkandidat vor seiner Weihe tat, um seine Demut zu bekunden, blieb einen Moment reglos liegen und ergriff dann die Hände, die zwei der jüngeren Bischöfe ihr entgegenstreckten, um ihr aufzuhelfen. Die Königin legte die Rechte auf den Altar, richtete den Blick auf ihre Untertanen im Kirchenschiff und gelobte, den eben geleisteten Schwur niemals zu vergessen oder zu brechen.
    Dann geleiteten die Bischöfe sie zum Krönungsstuhl, wo Gardiner sie mit dem heiligen Öl salbte und ihr den Krönungsmantel umlegte. Der Earl of Arundel brachte ihr Szepter, der Duke of Norfolk den Reichsapfel, der junge Edward Courtenay, der über fünfzehn Jahre lang schuldlos im Tower eingesperrt gewesen war, trug das zeremonielle Schwert, und der Earl of Waringham brachte schließlich die fünfhundert Jahre alte Krone Edward des Bekenners auf einem königsblauen Seidenkissen. Seine Hände zitterten so sehr, dass er fürchtete, das gute Stück werde unter ohrenbetäubendem Geschepper zu Boden purzeln, sich verbiegen und Edelsteine auf den Steinfliesen verstreuen wie Hühnerfutter. Er atmete erleichtert auf, als Bischof Gardiner ihn von seiner Last befreite und sie mit beiden Händen emporhob, ehe er Mary Tudor zu Königin Mary I. krönte.
    Es war schon fast fünf Uhr, als die Krönungsmesse endete und die Königin mit ihren Lords und Bischöfen die Kirche verließ. Halb London und ganz Westminster schienen sich versammelt zu haben, um sie auf dem Weg zum Krönungsbankett in Westminster Hall zu bejubeln. Mary ging gemessenen Schrittes durch die Gasse, die sie bildeten, und war sichtlich um ein huldvolles Königinnenlächeln bemüht, aber Nick erkannte am Strahlen ihrer Augen, wie glücklich sie war, was dieser Tag ihr bedeutete und nicht zuletzt dieser neuerliche Treuebeweis ihrer Untertanen.
    Westminster Hall erstrahlte im Licht ungezählter Kerzen. Der Marmorboden war poliert, die Wandgemälde aufgefrischt worden, Tücher aus strahlend weißem Damast bedeckten die langen Tische, auf denen silberne und goldene Trinkpokale standen, an der hohen Tafel gar mit Edelsteinen besetzt. Die Kleider der Damen funkelten von Goldfäden und Perlen, und Nick war nicht der einzige der Lords, der sich zu diesem Anlass neue Gewänder aus
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