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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm
Autoren: Philip K. Dick
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als bei sich selbst. Da er ein sehr mitfühlender Mensch war, schmerzte es ihn, mit ansehen zu müssen, wie der Hund litt – also setzte er die Versuche, ihm zu helfen, unermüdlich fort. In gewisser Weise waren die Qualen dieses hilflosen Tieres, das sich nicht einmal beklagen konnte, das Schlimmste an der ganzen Wanzenplage.
    »Was, zum Teufel, machst du eigentlich den ganzen Tag lang mit dem gottverdammten Köter unter der Dusche?«, fragte ihn sein Kumpel Charles Freck einmal, der während einer dieser Duschprozeduren hereingekommen war.
    »Ich muss die Aphidien von ihm runterkriegen«, erwiderte Jerry. Er schleppte Max aus der Duschkabine und nibbelte ihn ab. Dann sah Freck verwirrt zu, wie Jerry Babyöl und Talkumpuder in das Fell des Hundes einmassierte. Überall im Haus türmten sich Insektenspraydosen und Flaschen mit Talkum, Babyöl und Hautpflegemitteln, die meisten davon leer; mittlerweile verbrauchte Jerry Dutzende Flaschen pro Tag.
    »Ich seh hier keine Aphidien«, sagte Freck. »Was ist eigentlich 'ne Aphidie?«
    Jerry blickte ihn an. »Kann manchmal tödlich sein. Genau das ist 'ne Aphidie – tödlich. Die Biester sind in meinen Haaren und auf meiner Haut und in meiner Lunge und die gottverdammten Schmerzen werden langsam unerträglich – ich werd wohl bald ins Krankenhaus müssen.«
    »Wie kommt’s, dass ich sie nicht sehen kann?«
    Jerry setzte den Hund ab, den er inzwischen in ein Badetuch eingewickelt hatte, und kniete sich auf dem Zottelteppich hin. »Pass auf, ich zeig dir mal eine«, sagte er. Der Teppich war dicht mit Blattläusen bedeckt; überall schnellten welche hoch, hüpften auf und nieder, wobei manche höher sprangen als ihre Artgenossen. Jerry hielt Ausschau nach einem besonders großen Exemplar – weil es eben anderen Leuten so schwer fiel, die Biester zu sehen. »Hol mir mal 'ne Flasche oder ’n Glas. Unterm Spülstein. Wir decken das Glas dann mit einem Tuch ab oder schrauben den Deckel drauf und dann kann ich’s mitnehmen, wenn ich zum Arzt geh, und der kann sich das Vieh mal genau ansehen.«
    Freck brachte ihm ein leeres Mayonnaiseglas und Jerry setzte seine Suche fort – und schließlich entdeckte er eine Blattlaus, die mindestens drei Zentimeter lang war und bestimmt einen halben Meter hoch in die Luft sprang. Er fing sie geschickt mit seinen Händen, trug sie zum Glas, ließ sie vorsichtig hineinfallen und schraubte rasch den Deckel zu. Dann hielt er die Blattlaus triumphierend hoch. »Na, siehst du sie?«, rief er.
    »Jaaaaaa«, sagte Freck. Seine Augen weiteten sich, während er den Inhalt des Glases musterte. »Was für ein Riesenvieh! Wow!«
    »Hilf mir mal, noch mehr einzufangen, die ich dann dem Arzt zeigen kann.« Jerry hockte sich erneut auf den Teppich, das Glas neben sich.
    »Klar«, erwiderte Freck und machte sich an die Arbeit.
    Binnen einer Stunde hatten sie drei Gläser voller Wanzen. Obwohl Freck sich zum ersten Mal an einer Wanzenjagd beteiligt hatte, erwischte er einige der größten Exemplare.
    Das war um die Mittagszeit, im Juni 1994, in Kalifornien, in einem heruntergekommenen Wohnbezirk mit endlosen Reihen billiger, aber haltbarer Plastikhäuser, die die Spießer längst aufgegeben hatten. Jerry hatte allerdings vor einiger Zeit Metallfarbe über alle Fenster gesprüht, um das Tageslicht draußen zu halten; der Raum wurde nun von einer mehrarmigen Stehlampe erleuchtet, in die er Punktstrahler geschraubt hatte. Jerry ließ die Punktstrahler Tag und Nacht brennen, um für sich und seine Freunde die Zeit abzuschaffen. Dieser Gedanke gefiel ihm – er liebte es, sich von der Zeit zu befreien. Denn indem er das tat, konnte er sich ohne jede Störung den wirklich wichtigen Dingen widmen. Und wichtig war zum Beispiel, dass jetzt zwei Männer auf dem Zottelteppich knieten und eine Wanze nach der anderen auflasen, um sie in eine endlose Batterie von Gläsern zu sperren. »Was springt dabei eigentlich für uns raus?«, erkundigte sich Charles Freck später an diesem Tag. »Ich meine, bezahlt uns der Arzt so 'ne Art Stückpreis für die Viecher, 'ne Fangprämie, ’n paar Mäuse?«
    »Mir würd’s schon reichen, wenn dabei ein Gegenmittel herausspränge«, sagte Jerry. Obwohl die Schmerzen stets gleich blieben, waren sie jetzt unerträglich geworden; er hatte sich nie daran gewöhnen können und er wusste, dass er sich, verdammt noch mal, auch nie daran gewöhnen würde. Ein unwiderstehliches Verlangen, wieder zu duschen, überwältigte ihn. »Hey, Mann«,
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