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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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Eine kinderlose Frau sieht so etwas, sie sieht alles.
    Auf sein Anraten hin habe ich Akupunktur und Yoga ausprobiert, keinen Weizen mehr gegessen, fünf Kilo abgenommen und vor jedem Test die Finger an beiden Händen gekreuzt. Die blauen Linien haben mich jedes Mal im Stich gelassen, zu viele Tränen sind in das weiße Waschbecken in unserem Badezimmer geflossen. Ich wollte so gerne schwanger werden. Dann wollte ich nur noch eine ganz normale Periode. Ich habe gehofft und gebetet, doch nichts änderte sich. Schließlich stand noch ein letzter Test an. Selbst Pete war am Ende seiner Kräfte. »Danach hörst du auf, Liebes. Bitte«, flüsterte er.
    Er hatte so viel ertragen müssen. Meine Hormone, meine Stimmungsschwankungen, meine Tränen. Ich wollte ihm nicht widersprechen, denn ich war auch erschöpft. Nur noch ein letzter FSH -Test.
    Jetzt, während ich über Macao schaue, spüre ich das verzweifelte Bedürfnis, dieses Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt zu führen.
    »Grace, ich habe die Ergebnisse.«
    Ich kann es an seiner Stimme hören. Kinder in Bilderrahmen, ihr Lächeln vom Glas reflektiert, wird es für mich nicht geben.
    »Ich fürchte, es ist nicht das herausgekommen, was wir gehofft hatten. Ich hätte gedacht, dass es mit der zusätzlichen hormonellen Unterstützung und den alternativen Therapien klappen würde. Aber …«
    Diese Stimme, auf die ich so lange gewartet habe, wird zu einem seltsamen Summen in meiner Ohrmuschel. Ich kann dem, was er sagt, nicht folgen, und es spielt auch keine Rolle. Das Einzige, was ich höre, ist Versagen . Primäres Ovarialversagen. Mit Mitte dreißig bin ich eine alte Frau.
    Als Pete nach Hause kommt, sitze ich noch immer auf der Couch. Es ist schon dunkel, doch ich habe die Vorhänge nicht zugezogen. Ich habe ihn auch nicht angerufen, obwohl ich es kurzzeitig in Erwägung gezogen hatte.
    Er schielt zu mir herüber, während er sich die Schuhe auszieht. »Grace?«
    Ich stelle mir vor, was er sieht. Seine Frau, zusammengerollt auf dem Sofa, das Gesicht müde und alt. Er setzt sich zu mir und nimmt meine Hand. Lehnt sich zurück. Seufzt. Wir starren beide den Fernseher an, weil er automatisch den Blick auf sich zieht, auch wenn er ausgeschaltet ist. Das schwarze Rechteck ist wie eine dritte Person, die unser Gespräch belauscht.
    »Wir sollten darüber reden. Vielleicht können wir irgendwas tun …«, sagt er nach einer langen Pause. Seine Stimme ist stark und ermutigend. Seine Alphamännchenstimme. Eine Stimme, die die Männer zu ihm hinzieht wie die Wölfe zum Anführer des Rudels. Deshalb ist er wohl auch so ein guter Manager. Oder vielleicht ist es irgendein Pheromon. Er nimmt nie Aftershave, deshalb haftet ihm stets ein natürlicher salziger Geruch an. Dieser Geruch hat mir immer den Verstand geraubt. Doch nicht jetzt.
    Ich schüttele den Kopf.
    »Gracie, was genau hat er gesagt?« Er drückt tröstend meine Finger, aber sein Tonfall ist ein bisschen schulmeisterlich.
    Ich schüttele den Kopf; ich will nicht wie ein rohes Ei behandelt werden.
    Er sagt noch etwas, doch ich höre es nicht, obwohl ich mich zu ihm umdrehe. Ich sehe sein dichtes, lockiges Haar, das eher zu einem Musiker oder einem Künstler passen würde als zu einem Geschäftsmann. Wie immer muss er dringend zum Friseur, und ich mache mir im Geiste eine Notiz. Es ist so lange her, dass ich ihn wirklich angesehen habe. Durch den Nebel der Traurigkeit wird mir klar, wie sehr wir uns voneinander entfernt haben. Er kommt mir irgendwie fremd vor. Die letzten Jahre, in denen wir versucht haben, ein Baby zu bekommen, haben uns zunehmend getrennte Wege einschlagen lassen. Ich betrachte seine dunklen Augenbrauen und die Tränensäcke, die von zu wenig Schlaf zeugen. Zwei tiefe Linien, eine auf jeder Wange, umrahmen seine Lippen. Er legt den Kopf schief und runzelt die Stirn. Sein Gesicht spiegelt so viel Mitleid wider, dass mir schlecht wird. Was gibt es noch zu sagen?
    »Ich möchte nicht darüber reden«, sage ich matt.
    Ich habe ein neues Talent. Der Schlaf hat das Warten abgelöst. Pete besorgt mir von irgendwoher ein Rezept für Schlaftabletten, die ich anstelle der Mahlzeiten zu mir nehme. In regelmäßigen Abständen, um bloß nicht wach zu werden. Ich will nicht wach sein.
    Doch ein paar Tage später werde ich aus dem Schlaf gerissen. Ich bin schweißgebadet. Ich habe von Mama geträumt.
    Wir standen auf einem Feld voller Mohnblumen, ihre großen, herrlich roten Köpfe bewegten sich in der Brise, als
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