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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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sie hier mit sich herum.« Meine Übersetzerin deutet auf ihre Brust – auf ihr Herz, nehme ich an.
    Ich nicke langsam.
    »Sie werden ein gutes, gesundes Leben haben. Keine Geldprobleme. Sie werden eine Zeit lang in Macao bleiben, aber nicht zu lange.«
    Die ältere Frau runzelt die Stirn, sieht zu mir auf und dann wieder auf meine Hand. Ich schlucke. Die junge Frau steckt ihr Handy in die Tasche und beugt sich vor. Eine erneute Salve auf Kantonesisch ertönt. Diesmal hat die Tante die Lautstärke etwas stärker aufgedreht. Ich beuge mich auch vor, als könnte ich dadurch ein, zwei Worte aufschnappen, aber ich verstehe rein gar nichts. Die Tante droht ihrer Nichte mit dem Finger.
    »Schon gut, schon gut.« Sie verdreht die Augen. »Das macht sie ständig. Dann sagt sie etwas und meint vielleicht das genaue Gegenteil.« Sie runzelt die Stirn. »Sie spricht von Kindern.«
    Ich schnappe nach Luft und hoffe, dass sie es nicht gehört haben. Ich wünschte, ich könnte meine Hand dem Griff der älteren Frau entziehen, aber sie starrt noch immer auf meine Handfläche.
    »Vielleicht wird es eins geben …«
    Die Pause scheint ewig zu dauern, die Staubflocken wirbeln durch die Luft und drehen sich um uns.
    »Es ist eine zarte Linie. Sie bedeutet entweder eines oder gar keins.«
    Die Wahrsagerin streichelt einfühlsam meinen kleinen Finger, als wollte sie ihren Worten damit Nachdruck verleihen. Ich blicke zwischen den beiden Frauen hin und her.
    »Tja, keine Ahnung.« Die jüngere Frau zuckt mit den Schultern.
    »Ich verstehe nicht«, sage ich zögernd.
    »Ja, sie tut so, als würde das alles einen Sinn ergeben, aber was sie sagt, ergibt überhaupt keinen Sinn. Dann sagt sie, dass es am wichtigsten ist, sich keine Sorgen zu machen. Vielleicht ein Baby, das sagt sie.«
    Ich fühle mich wieder traurig und seekrank. Dass ich mir keine Sorgen machen soll, ist ein lächerlicher Rat. Ich möchte noch mehr wissen; Tausende von Fragen überschlagen sich in meinem Kopf. Ich öffne den Mund, doch die Wahrsagerin kommt mir zuvor und redet auf ihre Nichte ein. Als die junge Frau beim stechenden Blick ihrer Tante den Kopf schüttelt, lässt diese meine Hand los, beugt sich vor und hebt die Stimme.
    »Entschuldigung …«, sage ich, aber sie beachten mich nicht.
    Jetzt hat die Tante ihrer Nichte die Hand auf das Knie gelegt und zeigt mit dem Finger auf sie. Das Gesicht der jungen Frau wird blass, und sie wendet sich ab. Weitere Worte auf Kantonesisch, rau und abgehackt. Ich sehe von einer zur anderen. Ihre Stimmen werden immer ärgerlicher und nachdrücklicher. Ich habe das Gefühl, etwas zu beobachten, das ich nicht sehen sollte. Als die Tante noch lauter wird, hebt das Mädchen den Blick. Ihre Pupillen sind so dunkel und hart wie schwarze Perlen und scheinen direkt in mich hineinzusehen.
    »Darf ich fragen …«, beginne ich.
    »Das ist alles – fertig«, sagt sie ein bisschen zu schnell und steht auf. Die Wahrsagerin redet noch immer, doch die junge Frau lächelt mich gezwungen an und ignoriert sie.
    Ich verstehe den Fingerzeig. Ich stehe langsam auf, meine Beine, die vom Sitzen in der Kälte ganz steif geworden sind, geben fast unter mir nach. Sie reicht mir nicht die Hand, um mir aufzuhelfen. Ich schwanke, als ich in meiner Handtasche nach meiner Geldbörse suche.
    »Hundertfünfzig?«
    »Ja.« Dann fügt sie hinzu: »Ohne Trinkgeld.«
    »Äh, sicher.« Ich reiche ihr zwei Hundert-Hongkongdollar-Scheine. Sie sind neu und steif. Sie nimmt sie mit beiden Händen und hält inne, starrt mich mit diesen dunklen Augen an. Ihre Tante murmelt weiter vor sich hin, jetzt schüttelt sie den Kopf dazu. Meine Dolmetscherin dreht sich noch immer nicht zu ihr um, sondern hat den glasigen Blick weiter auf mich gerichtet.
    »Behalten Sie den Rest«, sage ich.
    »Danke«, antwortet sie matt.
    Während ich den vom süßlichen Geruch des Räucherwerks erfüllten Tempel durchquere, spüre ich, wie meine Augen feucht werden. Vielleicht von der Helligkeit des Lichts draußen. Auch meine Brust ist wie eingeschnürt. Ich hole tief Luft.
    Draußen bewegt sich die Menge noch immer wie ein einziger Körper, der größer ist als die Summe seiner Teile. Die Sonne steht wie ein Eidotter am weißen Himmel. Als ich die Hauptstraße erreiche, gehe ich an den Bushaltestellen vorbei und halte ein Taxi an. Ich sage dem Fahrer das Einzige, was ich auf Kantonesisch kann.
    »Gee Jun Far sing.«

Remède de Déliverance – Notfallmittel
    Veilchen mit Sahne und einer
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