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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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Januar war einer der kältesten seit Beginn der Aufzeichnungen, und wir froren in unseren sommerlich dünnen Kleidern. Jeden Morgen hatte der Himmel die Farbe von Milch. Die Wohnung hatte keine Zentralheizung, und nach einer Weile wurde uns klar, dass wir einen Luftentfeuchter brauchten. Die Wände erblühten in dunklem Schimmel, der sich wie ein wachsender Bluterguss ausbreitete. Abends konnte ich meine Finger nicht mehr spüren. Es war die Art feuchter Kälte, die sich tief in die Knochen gräbt und einfach nicht mehr weichen will.
    Hier nimmt meine Geschichte ihren Anfang. Mit unserem Leben in der Kälte, im letzten Monat vor dem bevorstehenden Jahr der Ratte. Als wir nicht länger vor der Wirklichkeit davonlaufen konnten; als uns die Realität, die uns den ganzen Weg von Melbourne nach London und von London nach Macao gefolgt war, endlich aufspürte und zur Strecke brachte. Nach dieser langen Flucht waren wir nun nicht mehr in der Lage, uns in den bedeutungslosen Details unseres Lebens zu verstecken – wer macht Frühstück und würdest du bitte daran denken, die Wäsche aus der Reinigung zu holen.
    Es war Zeit für mich, ein eigenes Leben zu finden. Aus nichts etwas zu machen. Es war das Ende der Hoffnung und auch ihr Anfang.

L ´ Arrivée – Ankommen
    Süßer, rauchiger Karamell mit einer salzigen, buttrigen Sahnefüllung
    Genau so eine Reise würde meine Mutter machen: an einem fremden Ort in einen Bus steigen, wo die Sprache ein Meer bedeutungslosen Unsinns und die Schrift noch verwirrender ist; allein bis auf reihenweise herumwirbelnder, starrender Gesichter. Mama würde das gefallen. Dunkle Augen, die das rote Haar und die blasse Haut angaffen. Die warmen, zusammengepferchten Körper, die sich unbekümmert aneinanderdrängen, wenn die Wagenräder durch die Schlaglöcher im Asphalt rumpeln. Ich dagegen bin nervös und fühle mich leicht seekrank, klammere mich an meine Handtasche und murmele nutzlose Entschuldigungen auf Englisch, wenn ich jemandem im Weg stehe. Ich fühle mich wie ein Eisbär im Outback, wie Pete es ausdrücken würde.
    Macao wird von dem schmutzigen Busfenster eingerahmt. Als wir von der Insel Taipa über die Brücke auf die Halbinsel fahren, ist es, als würden wir direkt in den weißen, nebligen Himmel tauchen. Der Bus hält mehrmals an und bremst dabei so spät, dass die Leute wie die Kegel übereinanderfallen. Niemand beklagt sich. Wir kommen am Casino Lisboa vorbei, das in dem Orange eines schlechten Cocktails gestrichen ist und runde Fenster im Stil der Sechzigerjahre hat. Dann an dem funkelnagelneuen Gran Casino Lisboa, dessen Ananasform direkt aus dem Boden zu schießen scheint. Die eckigen Kronblätter schwingen sich hoch in den Himmel. Die Kugel seines Fundaments leuchtet wie ein großer gewölbter Bildschirm, auf dem ständig Werbung, Fische, rollende Münzen und Hinweise auf Sonderangebote aufblitzen. Die aussteigenden Fahrgäste tragen alle die gleichen weißen Hemden und schwarzen Hosen. Als sie an mir vorbeidrängen, drücke ich meine Handtasche fest an meine Seite, spüre, wie sich die Ecken meines Reiseführers in meine Rippen bohren. Als wir die Stadtmitte erreichen, werden die Straßen enger und schwerer zu befahren. Die meisten Gebäude hier sind altersgraue Wohnblöcke. Dunkle Rinnsale tropfen von Fensterrahmen, und verblasste Kleider hängen ordentlich auf Miniaturwäscheleinen. Mopeds flitzen wie Wespen durch den Verkehr, Männer sitzen auf den Bürgersteigen und schlürfen Nudeln aus Plastikschalen. Sie heben kaum die Köpfe angesichts des Lärms: Fehlzündungen, Autohupen, das metallische Kreischen protestierender Bremsen. Heute ist es etwas wärmer. Der Frost lässt endlich nach. Ich ziehe mir den Schal vom Hals und stopfe ihn in die Tasche. Eigentlich will ich nach San Malo, doch da ich kein Kantonesisch kann, kann ich auch niemanden nach dem Weg fragen. Wenigstens wird so niemand versuchen, mit mir ins Gespräch zu kommen. Das ist zumindest eine kleine Annehmlichkeit.
    Ich schaue weiter aus dem Fenster, suche nach den Orientierungspunkten, die laut dem, was ich gelesen habe, demnächst auftauchen sollen. Wir erreichen ein Viertel mit schwarzen und weißen portugiesischen Pflastersteinen in durchdachten Wirbeln und Wellen und historischen Gebäuden anstelle von Wohnblöcken und glitzernden Kasinos. Die Fensterbretter sind cremefarben, die Fassaden bonbonrosa oder zitronengelb – Ostereierfarben. Nicht so leuchtend wie auf dem Foto in dem Buch, aber ich
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