Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee
Autoren: Hannah Tunnicliffe
Vom Netzwerk:
schwarzen Johannisbeerfüllung
    Drei Tage später trifft unsere Couchgarnitur endlich ein. Ein Mann klingelt unangekündigt an unserer Tür und steht mit zwei verschwitzten Kollegen und einer Miene da, als wollte er sagen: »Und weiter?« Er lässt alles hereinbringen und auspacken, dann zeigt er mir auf einem Stück Papier, wo ich unterschreiben soll, und verschwindet wieder. Jetzt kann ich in meinem Wohnzimmer sitzen und aus dem Fenster schauen.
    Wir wohnen in der sechsten Etage der Gee Jun Far Sing , der Schönsten Blumenstadt. Die Wohnungen sind überraschend großzügig; unsere Möbel füllen die unsere kaum aus. Es gibt eine Wunderbare Blumenstadt und eine Große Blumenstadt, und eine Königliche Blumenstadt wird es auch bald geben, aber unser leuchtend violettes Haus ist das schönste. Ein über vierzig Stockwerke hohes lila Gebäude, das wie eine dünne exotische Lilie in den Himmel ragt, ist ziemlich schwer zu übersehen. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Fassade nicht in dieser Farbe gestrichen, sondern mit kleinen violetten Fliesen überzogen ist – wie Pixel auf einem Computerbildschirm. Fast alle Wohnhäuser sind auf die gleiche Weise verkleidet. Wahrscheinlich werden die Fliesen in Bahnen angebracht und dann wie eine Tapete oder die Glasur auf einem Hochzeitskuchen glatt gestrichen.
    Von der Couchgarnitur, mit der wir jetzt endlich wieder vereint sind, kann ich auf den Parkplatz über der vierten Etage, ein Stück Brachland dahinter und das Nova-City-Wohnhaus direkt gegenüber sehen. Das Nova City ist ein älteres Gebäude. Es muss einmal weiß gewesen sein, doch jetzt ist es genauso grau wie der Himmel an einem abgasreichen Tag. Unter den undichten Klimaanlagen sind Schmutzstreifen an der Wand zu erkennen. Auf dem leeren Grundstück soll demnächst ein Park oder so etwas angelegt werden, hat man mir gesagt. Jede Woche gibt es neue Gerüchte, was damit geschehen soll – eine unterirdische Tiefgarage, eine Straßenbahnhaltestelle oder noch ein weiteres Kasino. Doch es passiert nichts. Das schäbige Grundstück bleibt leer und mit Unkraut überwuchert.
    Als ich so auf dieses verlassene Stück Land blicke und das tue, was ich am besten kann, nämlich warten, klingelt das Telefon. Beim ersten Klingelton bleibt mir das Herz in der Brust stehen. Ich versuche normal zu atmen. Geh einfach ran, Grace. MeinHerz rast wie ein Rennpferd beim Grand National. Ich sehe meine Akte in seinen Händen, eine Mappe mit roten und gelben Klebezetteln an der Seite, auf denen der Name G. Miller steht. Die Verbindung ist zu schlecht, als dass ich aus dem Klang seiner Stimme, seinem Tonfall oder seinen Pausen etwas heraushören könnte. Er räuspert sich.
    »Hallo, Dr. Lee«, sage ich.
    Ich stelle ihn mir am anderen Ende der Leitung vor, am anderen Ende der Welt. Dr. Lee sieht älter aus, als er ist, wahrscheinlich weil er so oft lächelt. Die wenigen Falten in seinem runden Gesicht haben sich um die Wangen versammelt, als würde er seit Jahren nur gute Nachrichten verkünden. In meinen Gedanken lächelt er breit, die Arme voller properer, glucksender Babys in rosa und hellblauen Stramplern. Obwohl er aus seiner Praxis in London anruft, stammt er ursprünglich aus Hongkong, sodass er Macao, das nur einen Steinwurf entfernt liegt, gut kennt. Er hat oft die Sommerferien hier verbracht.
    Zwei Jahre mit gekreuzten Fingern und Sex nach dem Terminkalender waren vergangen, bevor ich mich traute, ihn in seinem seegrünen Büro mit den künstlichen Seidenmohnblumen im Wartezimmer aufzusuchen. Zuvor war ich bereits bei einem anderen Endokrinologen, der feststellte, dass ich zu viel follikelstimulierendes Hormon produzierte. Und obwohl wir genau wussten, was das zu bedeuten hatte, war es immer noch leichter, von meinem FSH-Wert zu sprechen, als die gefürchteten Worte »prämature Menopause« in den Mund zu nehmen. Noch schlimmer war es, wenn jemand den Ausdruck »Unfruchtbarkeit« in den Raum warf – einfach so, ohne nachzudenken. Da wurde mir immer ganz schlecht.
    »Wir versuchen es mit einem anderen Arzt. Noch ein letztes Mal«, hatte ich zu Pete gesagt.
    Und so kamen wir zu Dr. Lee, der uns mit seinem ganz besonderen Lächeln anlächelte, und wir schöpften neue Hoffnung. Es gab immerhin kleine Lees. Das war doch ein gutes Zeichen, oder? Sie grinsten von den Fotos auf seinem Schreibtisch, die rücksichtsvollerweise mit dem Rücken zu den Patienten standen, sich jedoch in den Glastüren der Regale hinter ihm spiegelten.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher