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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
Autoren: Alexandra Fuller
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Nicola Fuller of Central Africa lernt fliegen
    Mkushi, Sambia, ca. 1986

    Mum bei einer Theateraufführung
in Eldoret, Kenia, ca. 1963
    Unsere Mum – oder auch Nicola Fuller of Central Africa, wie sie sich gelegentlich vorzustellen pflegt – hat sich einen Schriftsteller in der Familie gewünscht, solange wir denken können. Einmal, weil sie Bücher liebt und deshalb schon immer in einem auftreten wollte (so wie sie große, teure Hüte liebt und gerne in ihnen auftritt), aber auch, weil sie von jeher den Plan hegte, ein sagenhaft romantisches Leben zu führen, und dafür brauchte sie einen halbwegs gefügigen Zeugen als Chronisten.
    »Wenigstens hat sie dir nicht schon im Mutterleib Shakespeare vorgelesen«, sagt meine Schwester. »Ich glaube, da hab ich meinen Dachschaden her.«
    »Du hast keinen Dachschaden«, sage ich.
    »Das sieht Mum anders.«
    »Ach, hör einfach nicht hin. Du kennst sie doch.«
    »Eben.«
    »Neuerdings will sie mir weismachen, man hätte mich bei der Geburt vertauscht«, sage ich.
    »Tatsächlich?« Vanessa reckt den Hals, legt den Kopf schief, um mein Gesicht besser sehen zu können. »Zeig deine Nase mal von der anderen Seite.«
    »Hör auf.« Ich verdecke meine Nase.
    »Du hast selber Schuld«, sagt Vanessa und zündet sich eine Zigarette an. »Warum musstest du auch dieses grässliche Buch über sie schreiben?«
    Zum hunderttausendsten Mal erkläre ich Vanessa, dass das nicht stimmt: »Es ist nicht grässlich, und es ist nicht über sie.«
    Vanessa bläst ungerührt den Rauch gen Himmel. »Da ist Mum aber anderer Meinung. Mich darfst du nicht fragen. Ich hab’s nicht gelesen. Werd ich auch nicht. Kann’s nicht. Hab einen Dachschaden. Frag Mum.«
    Wir sitzen vor Vanessas Steinhaus nahe der Stadt Kafue. Vanessa war so klug, zu einer unergründlichen Künstlerin heranzuwachsen – Stoffe, Grafiken, Leinwände in überbordenden, tropischen Farben, alles verarbeitet zu einer Art unverbindlichem Chaos, damit keiner sie auf irgendetwas festnageln kann. Überhaupt kann passieren, was will, Vanessa tut so, als wäre alles kein Problem, solange keiner ein Drama macht. So wächst zum Beispiel in ihrem Badezimmer ein Baum mitten durch das schilfgedeckte Dach – sehr romantisch und malerisch, aber als Schutz gegen Regen und Reptilien total ungeeignet. »Ach«, sagt Vanessa leichthin, »wenn du die Schuhe anbehältst und aufpasst, wo du dich hinsetzt, geht das schon.«
    Das restliche Haus, angebaut an das wahnsinnig unpraktische Bad, hat insgesamt nur drei winzige Zimmer für Vanessa, ihren Ehemann und ihre diversen Kinder, aber es steht auf dem Gipfel eines Kopje, und das macht es zu etwas Besonderem. Es ist, als würde eine Kleiderkammer über eine Kathedralendecke verfügen. Wir sitzen draußen, die Luft duftet nach Miombowald, wir rauchen und blicken hinunter auf die anheimelnden Lichter der vielen Herdfeuer, die in den umliegenden Dörfern glimmen. Hin und wieder ist von den Tavernen an der Kafue Road Hundegebell zu hören, oder die Soldaten drüben im Armeelager rufen sich etwas zu oder ballern ein bisschen in die Luft. Es ist alles sehr friedlich.
    »Trink noch ein Glas Wein«, empfiehlt Vanessa mir zum Trost. »Wer weiß, irgendwann vergibt sie dir vielleicht.«
    Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass das grässliche Buch, dessen voller und korrekter Titel in Gegenwart meiner Familie nicht ausgesprochen werden darf, nicht allein auf meinem Mist gewachsen ist. Ich habe mich von Nicola Fuller of Central Africa höchstpersönlich dazu ermutigt, um nicht zu sagen genötigt gefühlt. Nachdem sie meine ältere Schwester ob ihrer beharrlichen Weigerung, lesen und schreiben zu lernen, als potentielle Autorin abschreiben musste, richtete Mum ihre literarischen Ambitionen auf mich. Ich war fünf, als sie die Mathematik-Lektionen in unserem wöchentlichen Rhodesischen Fernunterrichts-Paket ausließ. »Weißt du, Bobo«, erklärte sie mir, »Zahlen sind langweilig. Außerdem kannst du immer jemanden anstellen, der für dich das Rechnen übernimmt, aber du kannst niemanden anstellen, der für dich schreibt. Also?« Mum schwieg und bedachte mich mit ihrem beängstigenden Lächeln. »Was meinst du, worüber möchtest du schreiben?« Worauf sie genüsslich ihren Tee austrank, sich ein paar Hunde vom Schoß fegte und loszog in ein Leben, das der schönsten Literatur würdig war.
    Zwölf Jahre später ließ sie dieses Leben Revue passieren und maß es an der Biografie, die ihr vorschwebte, etwas im Stil von
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