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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
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Zürich hat sie schon hinter sich, eine in Frankfurt wird demnächst eröffnet.
    Ich will mich bemühen, zum Schluss zu kommen, obwohl es in Wahrheit nie einen Schluss gibt. Das eine folgt dem anderen. Im Neuen ist immer auch Altes. Ist Sterben ein Schluss? Wohl kaum! Ein Wassertropfen, der verdunstet, verändert das Meer ja auch nicht. Meer bleibt Meer, Leben bleibt Leben. Es geht weiter. Das wusste ich immer schon, aber seit ich in meinem Leben aufgeräumt habe, erfüllt es mich mit Freude. Ein regelrechtes Wohlbehagen empfinde ich. Ich beobachte mit Entzücken, wie Liliths und Maurice’ Liebe wächst und sich vertieft. Sie haben jede Chance, ein außergewöhnliches Liebespaar zu werden. Das rührt mich. Und ich bestaune die Kinder, Fabio und Fiona, und die Vorstellung, dass sie noch so viel Leben vor sich haben, macht mich glücklich. Sie können noch unendlich viel entdecken und herausfinden.
    Aus heiterem Himmel fragte mich Fiona letzte Woche: »Rosa, möchtest du einmal etwas ganz Böses tun? Etwas ganz Schlimmes und niemand erfährt davon.«
    »Warum fragst du?«
    »Fabio behauptet, es gebe keinen lieben Gott. Also sieht auch niemand, wenn ich etwas Schlimmes tue. Und ich habe manchmal ganz böse Einfälle.«
    Ich lachte, um Zeit zu gewinnen. Spontan wollte mir keine Antwort einfallen, dafür kam mir meine letzte Begegnung mit Henry in den Sinn.
    Einige Tage bevor er endgültig aus der Stadt verschwand, traf ich ihn spätabends am See. Ich bin mir sicher, dass er diese Begegnung bewusst herbeigeführt hatte. Aus dem Stand heraus kam ein Gespräch zustande. Wir waren allein. Standen nahezu im Dunkeln. Das wenige Licht der entfernt stehenden Straßenlaterne beschien zwar mein Gesicht, nicht aber seines, weil er sie im Rücken hatte. Und so wenig, wie ich seine Mimik lesen konnte, so dunkel war, was zwischen uns ablief:
    »Unseren Tanz, Rosa, habe ich nie vergessen.«
    »Wollen Sie mir schmeicheln?«
    »Warum sollte ich? Sie waren einfach besser als ich! Eigentlich waren Sie es, die unseren Tango geführt hat!«
    »Hätten Sie denn gern geführt?«
    »Natürlich! Aber wissen Sie was? Ich habe es trotzdem genossen. Dabei habe ich voller Selbstbewusstsein losgelegt. Insgeheim war ich nämlich doch ein wenig stolz auf mein tänzerisches Können.«
    »Henry! Es war nur ein Tanz.«
    »Oh nein! Und das wissen Sie auch.«
    »Damals jedenfalls noch nicht.«
    »Aber Sie haben es doch gespürt, Mama Rosa, oder etwa nicht?«
    »Nicht sofort, Henry. Ich fing erst an, etwas zu ahnen, als Sie Severin den Sieg bei der Regatta und den Sitz im Vorstand des Segelclubs überließen.«
    »Intuition? Rosa, ist das diese Intuition?«
    »Ich hatte es einfach im Gefühl.«
    »Diese Gefühle immer!«
    »Sie machen uns aus, Henry. Einige verführen uns, andere retten uns. Deshalb ist die Welt so, wie sie ist. Manchmal schrecklich, häufig schön. Denn befohlen wird uns gar nichts, nur Vorschläge gibt es.«
    »Lassen wir das, Rosa. Ich habe es begriffen. Ich verlasse die Stadt für immer. Ich bin mit meinem Vorhaben gescheitert. Ihr Anteil daran ist nicht gering. Wollen Sie wissen, wann ich zu dieser Einsicht gekommen bin?«
    Ich nickte.
    »Ich stand in Diedrichs Apotheke und beobachtete durch die Glasscheibe, wie dieser Shandar aus Réas Wagen in den Ihren umstieg und Sie wegfuhren. Mein Eindruck war, jetzt verliere ich die Regie. Und mir schoss durch den Kopf: Rosa tanzt besser. Seltsam, nicht wahr? Plötzlich wusste ich, dass Sie meine Mission ad absurdum führen werden. Mut verscheucht die Dunkelheit. Einsicht schlägt das Böse. Mein Experiment hatte nie eine Chance. Blindwütig wie ich war, hatte ich es aber auch zu absurd angelegt. Und dilettantisch war es auch.«
    »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich verstehe, was Sie mir da sagen?«
    »Ach, Mama Rosa, natürlich verstehen Sie es. Sie brauchen weder Gott noch Teufel. Es muss nur nicht ausgesprochen werden. Der Punkt ist: An Menschen wie Ihnen kommt einer wie ich nie vorbei! Aber es war mir eine wirkliche Freude, Sie kennengelernt zu haben. Jetzt kann ich loslassen.«
    Henry verbeugte sich leicht, wandte sich um und entfernte sich durch den Lichtkreis der Laterne. Erst jetzt sah ich, dass sein Hund Che-Che bei ihm war. Zusammen trotteten die beiden einfach davon und verschwanden in der Dunkelheit. Wellen schlugen an die Ufersteine. Etwas Wind zog über die Promenade. Auf einmal war wieder viel Volk unterwegs. Das war mir unverständlich und plötzlich unheimlich. Wieso war
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